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Besprechung CD zum Thema
Nordische Symphonik

dacapo 8.226027

1 CD • 75min • 2003

04.10.2004

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Herman D. Koppel hätte ohne Frage das Zeug zu einem der meistbeachteten Komponisten des 20. Jahrhunderts gehabt, wenn seine Eltern sich nicht 1907 entschieden hätten, aus der Enge des polnischen Dorfes Blaszki nach Kopenhagen zu fliehen. So geriet der Knabe trotz seiner hohen musikalischen Begabung in eine kulturelle Peripherie, deren großes künstlerisches Potential sich bis heute nicht wirklich auf den internationalen Bühnen, Podien und CD-Spielern hat etablieren können. Wenngleich Komponisten wie Nielsen (den Koppel noch kennenlernte), Bentzon, Riisager, Holmbøe und ähnlich wohlklingende Namen im Umlauf sind – wenn wir ehrlich sind, werden wir mit kaum einem der Genannten viel mehr als einige Werktitel assoziieren. Dabei müssen sich die dänischen Kulturleistungen hinter ihren bekanntesten Exportartikeln wahrlich nicht verstecken (ausdrücklich bitte ich an dieser Stelle um eine Gedenkminute für den unlängst verstorbenen Ove Sprogøe alias Egon Olsen): Allein die Fortsetzung der Schumannschen Sinfonie-Tradition durch Niels W. Gade oder die faszinierenden sinfonischen Nuancen eines Rued Langgard sollten für weit größere Aufmerksamkeit sorgen. Und wen gäbe es nicht sonst noch alles zu entdecken ...

Auch Herman Koppel dürfen wir trotz seiner Herkunft zu den dänischen Komponisten rechnen, und obendrein nicht zu den schlechtesten. Wer die Serie des Labels Da Capo verfolgt, das inzwischen bei der vierten Folge mit Orchesterwerken angekommen ist, der wird zumindest anerkennen, daß der 1998 im Alter von 90 Jahren verstorbene Künstler nicht nur äußerlich, sondern auch ästhetisch dem zwei Jahre älteren Dmitri Schostakowitsch ähnelte. So ist beispielsweise seine auf dem ersten Koppel-Album (DC 8.224135) enthaltene sechste Sinfonie (Sinfonia brevis) ein ähnlich freches Paradestück wie die Neunte des russischen Kollegen, während man bei dem jetzt veröffentlichten dritten Klavierkonzert von 1948 nicht ganz sicher sein kann, ob es das sechste von Prokofieff oder das dritte von Schostakowitsch hätte werden sollen. Das quirlt und schwirrt, als hätte Koppel wie ein virtuoser Barkeeper die neoklassizistischen Elemente der beiden Genannten in einen Shaker gegossen und alles so lange geschüttelt, bis es rührt – und sich diesen konzertanten „Drink” dann mit Fug und Recht als eine eigene Erfindung patentieren lassen. Die Musikfreunde scheinen seine brillante Leistung von Anfang an honoriert zu haben, denn neben dem Cellokonzert ist das dritte Klavierkonzert eine der beliebtesten Kreationen aus Koppels Feder, die, wenn sie obendrein so flott und beschwingt vorgetragen wird wie in der hier vorliegenden Einspielung, durchaus ein Hit sein könnte.

Insgesamt sperriger erweist sich da schon die sinfonische Landschaft. Das Schlußstück, die Siebte (mit der erwähnten Sinfonia brevis und dem noch späteren Konzert für Orchester auf derselben CD erschienen), ist enorm expressiv, doch sie driftet zeitweilig in Regionen ab, die anfänglich eine gewisse Ratlosigkeit verbreiten und deshalb wohl auch in der Heimat des Komponisten nicht die rechte Gegenliebe fanden. Die Fünfte aus dem Jahre 1956 ist da noch von direkterem Zuschnitt und wurde aufgrund ihrer Unmittelbarkeit zur meistgespielten Koppel-Sinfonie. In der alternativen Satzfolge langsam-schnell-langsam gibt sie sich zwar weitaus ernster und nachdenklicher als das nachfolgende Konzert, doch sollten sich unter der Oberfläche programmatisch-autobiographische Züge verbergen, so müssen diese auf einer dezenten, unaufdringlichen Schicht liegen, und das macht Koppels Musik insgesamt so sympathisch: Obwohl auch er mit seiner Familie vor dem Rassenwahn der Nazis fliehen mußte, fehlt ihr alle Larmoyanz, und auch jene „Freude am Vorwurf”, die uns recht häufig in der Musik verschiedener Zeitgenossen wie Moshe Vainberg (Mieczyslaw Weinberg) begegnet und einen förmlich auffordert, sich schon fürs pure Zuhören zu entschuldigen.

Das gilt auch für das merkwürdige Vorspiel zu einer Sinfonie, das Herman Koppel 1981 verfaßte, als man bei ihm ein neues Orchesterstück bestellte, das in einem Konzert seiner 25 Jahre alten fünften Sinfonie voraufgehen sollte. Der 73jährige bewältigte den Auftrag auf ebenso rätselhafte wie eindrucksvolle Weise. Das kaum mehr als fünfminütige Werk ist weder Ouvertüre noch Einleitungssatz, sondern ein musikalischer Zugangscode – ein Brennglas, durch das die tragenden Elemente der Sinfonie und darüber hinaus die markantesten Einflüsse auf große Teile des eigenen Schaffens deutlicher zutage treten werden: Wenn unvermittelt das heftige Marsch-Scherzo aus Schostakowitschs achter Sinfonie dahingaloppiert, schließt sich der Kreis einer in sich überzeugenden, gut „komponierten” CD, die man praktisch in jede Richtung hören kann und die uns in jedem Fall vermittelt, daß „Wahlverwandtschaften” sich nicht notwendigerweise auf das bekannte Spiel von „Original und Fälschung” beschränken müssen. Mitunter geschehen ganz einfach gleiche Dinge an den verschiedensten Plätzen der Welt, im Zentrum und an der Peripherie zugleich, und wenn sich die Gestalten dann auch noch so ähneln wie Koppel und Schostakowitsch, könnte man glatt den Glauben an das Prinzip Zufall verlieren.

Rasmus van Rijn [04.10.2004]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Herman D. Koppel
1Prelude To A Symphony op. 105 (1981)
2Sinfonie Nr. 5 op. 60 (1956)
3Klavierkonzert Nr. 3 op. 45 (1948)

Interpreten der Einspielung

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