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Besprechung CD

Chandos CHAN 10250

1 CD • 68min • 2004

14.12.2004

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 7
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 7

Über Grazyna Bacewicz ärgere ich mich seit langem, denn sie gehört zu jenen äußerst begabten Vertreterinnen ihrer Zunft, die mein schönes Vorurteil, demzufolge Frauen nicht komponieren können, mit jedem ihrer Stücke, das mir unterkam, zutiefst erschüttert haben. Das ist einfach nicht fair ...

Doch Spaß beiseite. Wo immer ich der Musik dieses polnischen Energiebündels habhaft werden kann, leide ich gewissermaßen an erfreutem Vorgeschmack, und dieser kam dann auch dank dieser Produktion voll und ganz auf seine Kosten. Die zwischen 1946 und 1958 entstandenen Werke für Violine solo bzw. für Violine und Klavier zeigen die Komponistin natürlich gleich mit doppeltem Heimvorteil: Zum einen als eine ganz überragende Geigerin (1935 wurde sie beim Ersten Wieniawski-Wettbewerb nur von David Oistrach und Ginette Neveu überflügelt), zum andern als eine schöpferische Potenz ganz erheblichen Kalibers, für die jedes Theoretisieren offenbar pure Zeitverschwendung war. Anstatt lang und breit über Wert und Unwert neoklassizistischer Temperamentsausbrüche oder über philosophisch-soziologische Hintergründe ihrer späteren, avancierten Kreationen zu fachsimpeln, schrieb sie Musik, und das oft genug, wie berichtet wird, in halsbrecherischer Geschwindigkeit: Sie müsse wohl, so meinte sie selbst, einen kleinen Motor in sich haben, mit dessen Hilfe sie Aufgaben, für die andere eine Stunde brauchten, in zehn Minuten erledigen könne.

Wer da nun aber glaubt, es hätten sich diese Behendigkeit und dieser Antrieb in nichts als oberflächlichen Spielereien niedergeschlagen, der kann sich auf mancherlei mehr als angenehme Überraschungen gefaßt machen. Die vierte Violinsonate von 1949 etwa wartet mit einer erlesenen Mischung aus spritzigen und äußerst expressiven Einfällen auf, aus denen zwar gelegentlich der drei Jahre ältere Schostakowitsch hervorlugt, die aber von ganz eigenen, bezaubernden Texturen (man höre das zweite Thema des Kopfsatzes) und rhythmischen Vertracktheiten überquellen. Bemerkenswert experimentell gibt sich Grazyna Bacewicz in der zweiten Solosonate (1958), die völlig entkrampft einen ersten Kontakt mit den – für Polen damals neuen – westlichen Tendenzen sucht, ohne daß ihr dabei der eigene Tonfall und vor allem jene Spiellaune abhanden käme, die in den winzigen Encores Oberek Nr. 1 und Polnisches Capriccio fröhliche Urständ feiert.

Für den zähen und temperamentvollen Charakter der Komponistin spricht besonders die Partita für Violine und Klavier (1955), die nach einem langen, durch einen schweren Verkehrsunfall bedingten Krankenhausaufenthalt entstand. Ernst und Eindringlichkeit mögen hier vielleicht ein Quantum nachdrücklicher formuliert sein als in den älteren Duosonaten; doch niemand käme auf die Idee, daß diese Musik von einem Menschen stammt, der seinerzeit zur Bewegungslosigkeit verurteilt war – und wenn die Toccata bzw. das abschließende Rondo erklingen, dann wissen wir, daß der „kleine Motor” nach wie vor seine volle Drehzahl leistete.

Einige Äußerlichkeiten sind zu den musikalisch durchaus intensiven, mitreißenden, in den langsamen Sätzen außerordentlich bewegenden Interpretationen anzumerken: Zunächst das hier und da eine Spur zu metallische Klavier, dem – am Anfang der fünften Violinsonate etwa – ein leicht cimbalom-artiger Beigeschmack anhaftet; und dann eine rein drucktechnische Panne, die das Booklet und damit den Leser je um eine Seite der deutschen und der französischen Übersetzung bringt. Die inspirierten Musikerinnen machen allerdings beide Einwände letztlich doch gegenstandslos.

Rasmus van Rijn [14.12.2004]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Grażyna Bacewicz
1Sonata Nr. 4 für Violine und Klavier (1949)
2Sonata Nr. 5 für Violine und Klavier (1951)
3Oberek Nr. 1 für Violine und Klavier (1949)
4Sonata für Violine solo (1958)
5Partita für Violine und Klavier (1955)
6Capriccio für Violine und Klavier (1946)
7Polnisches Capriccio für Violine solo (1949)

Interpreten der Einspielung

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