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Besprechung CD zum Thema
Musik des 21. Jahrhunderts

Schubert Dialog

Tudor 7132

1 CD • 78min • 2002, 2003, 2004

28.09.2005

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Die Beweggründe des Dirigenten Jonathan Nott und der Bamberger Symphoniker, diese CD in Ergänzung ihres vortrefflichen Schubert-Zyklus und als Fortsetzung des nicht minder beachtlichen Schubert Epilogs aufzunehmen, sind ebenso einleuchtend und ehrenwert wie das Engagement des Labels für diesen über den authentischen Tellerrand hinausschauenden Zyklus aus Originalen und Reflexionen. Allein, nicht immer will, was einmal vorzüglich geriet, auch als Fortsetzung gelingen. Das gilt für TV-Formate und Blockbuster-Sequels wie für manche zweite Sinfonie (die Geschichte ist voll davon) – und leider auch für diesen Schubert Dialog. Vielleicht hätte es ja schon genügt, die Titel der beiden Veröffentlichungen zu vertauschen. Denn das Programm des „Epilogs” hält wirklich packende Auseinandersetzungen und Zwiegespräche mit Schubert bereit, wohingegen ich mich hier nach einiger Zeit denn doch in der Wendeschleife einer Sackgasse glaubte, aus der kein Weg mehr ins Freie führt.

Nach einiger Zeit, sage ich. Denn anfangs glaubte ich noch, in dem Lied für Orchester, das der vielfach preisgekrönte Erfolgskomponist Jörg Widmann vor zwei Jahren geschaffen hat, tatsächlich eine originelle (was nicht gleich heißen muß: nie dagewesene und radikal neue) Begegnung mit der nostalgisch-brüchigen Schönheit der Romantik zu hören – zumal die ganz direkte Verbindung zwischen Schubert und Gustav Mahler hier mit geradezu elementarer Gewalt hervorbricht. Dann aber, etwa auf halber Strecke, genauer: nach 18 der insgesamt knapp 30 Minuten, flaute das Interesse merklich ab. Da wußte ich nämlich, daß zwischen den Mahler’schen Ausbrüchen immer wieder Duette für Piccolo und Kontrafagott hinterfragen, was schon mehrfach beantwortet wurde: GEMA-Musik nenne ich solche Stücke, deren zeitliche Ausdehnung anscheinend nach der Faustformel „Spieldauer = Tantieme” berechnet ist. Nicht, daß die zweite Werkhälfte ohne jene Momente wäre, in denen man gern die Ohren spitzt. Mal dringt Mahlers Ewigkeitsmotiv an die Oberfläche, mal sind wird dort, wo die schönen Klarinetten, Hörner und Oboen blasen. Dennoch will nichts mehr zusammenhalten – und zwar nicht, weil etwa der organische Zerfall komponiert worden wäre, sondern weil, wie ich es empfinde, immer noch etwas Zerfallenes hinzu- und hinzu- und hinzugefügt wurde.

Irgendwann legt sich schließlich der glühende Draht hoher Flageoletts über die Ereignisse, ein Klangmittel, das mir doch sehr bekannt vorkam. Und richtig, das Beweisstück findet sich als letzter Titel auf derselben CD: In seiner Schubert-Phantasie hat schon Dieter Schnebel vor bald dreißig Jahren mit diesem Effekt operiert, um den orchestrierten Kopfsatz der hinreißenden großen G-Dur-Klaviersonate in Frage oder gar Abrede zu stellen.

Das ist nicht der einzige „Klassiker” der Veröffentlichung. Auch Wolfgang Rihms Erscheinung (Skizze über Schubert für neun Streicher und Klavier ad lib.) entstand Mitte der siebziger Jahre als Versuch, „Schubertsche Sprachfetzen aus dem gegenwärtigen Moment heraus neuzustammeln”, wie der Komponist mit dem heute gigantischen Werkverzeichnis das seinerzeit ausdrückte. Nun ja, damals konnte noch niemand ahnen, daß dieses schöpferische Prinzip – losgelöst von irgendwelchen historischen Persönlichkeiten – zu einem der Markenzeichen des immens fleißigen Mannes werden würde.

Bleibt endlich noch Bruno Mantovani, der im selben Jahr wie der kaum ältere Widmann sein Virtuosenstück Mit Ausdruck für Baßklarinette und Orchester komponiert hat und im Rahmen des vorliegenden Programms den Vogel abschießt. Er präsentiert einen Konzertsatz, durch den zwar verschiedene Schubert-Motive geistern (glücklicherweise gibt der Einführungstext Auskunft darüber), der aber – in einem gemäßigten Tonfall, wie er während der fünfziger und sechziger Jahre nicht unbekannt war – auch ohne jeden Bezug zu seinem romantischen Patenonkel gehört werden kann. Besonders muß man die Leistung des Solisten Alain Billard bewundern, der sich „sputatis sputandis” tapfer durch seine reichlichen Aufgaben kämpft und einen enormen Nuancenreichtum zu erzeugen weiß.

Ob mich diese Produktion nun als das, was sie sein soll, überzeugt hat oder nicht, tut der hohen Bewertung keinen Abbruch: Der Klang ist einwandfrei, der Solist bringt, wie gesagt, Beachtliches zuwege, und das Orchester gibt sich unter seinem Dirigenten alle erdenkliche Mühe, die musikalischen Kommentare zu Franz Schubert auf hohem Niveau zu vermitteln. Daß das nur bedingt gelingt, hat andere Ursachen.

Rasmus van Rijn [28.09.2005]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Jörg Widmann
1Lied für Orchester (2003)
Wolfgang Rihm
2Erscheinung für 9 Streicher und Klavier ad lib. (Skizze über Schubert, 1978)
Bruno Mantovani
3Mit Ausdruck für Baßklarinette und Orchester (2003)
Dieter Schnebel
4Schubert-Phantasie für geteiltes großes Orchester (1978/1989)

Interpreten der Einspielung

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