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Besprechung CD

OehmsClassics OC 724

1 CD • 80min • 2008

11.09.2009

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Ich erinnere mich an Zeiten, als die Lyrischen Stücke Edvard Griegs, die Lieder ohne Worte Mendelssohn Bartholdys und auch Tschaikowskys Klavierstücke geradezu geächtet wurden. Vielmehr: geächtet werden mussten, denn in den 60er und noch in den 70er Jahren fanden die führenden Feuilletonisten ? und mit ihnen die meisten Interpreten und ihre Lehrkörper – wenig Gefallen an Miniaturen dieser Art. Ein strammes Hofieren der großen, wichtigen klassischen und romantischen Formen war die Regel, man erteilte den deutschen, nordischen und slawischen Kleinformaten eine heftige Absage. Diese Art der Ausgrenzungsästhetik ist zum Glück Vergangenheit, aber es lohnt sich in Anbetracht dieser Tschaikowsky-Publikation wenigstens einen Moment in diesem Zusammenhang inne zu halten.

Wenn ich mich recht besinne, dann war es eine CBS-Aufnahme mit Philippe Entremont, die mich erstmals mit Klavierstücken Tschaikowskys konfrontierte. Etwas später auch die – über weite Strecken leider gestalterisch lausigen – Vox-Produktionen mit Michael Ponti. Aufhorchen ließ mich dann eine Auswahl aus dem reichen Miniaturen-Schaffen Tschaikowskys unter den herrischen, gleichwohl nachdenklich bremsenden, berechtigt sentimentalen Händen Sviatoslav Richters. Und um nicht allzu sehr in der Vergangenheit zu stöbern: viele Jahre später war es Mikhail Pletnev, der 2004 in Baden-Baden den kompletten Zyklus op. 72 spielte. Seine überragende Interpretation wurde wiederholt im Fernsehen gesendet – und sie erinnerte mich natürlich an seine frühe Melodyia-Einspielung, die im Vergleich zu seiner Baden-Badener-Interpretation viel körniger, unfreundlicher wirkt (und dies auch in Folge der damals recht knarrigen, räumlich eingegrenzten Sowjet-Technik!). Dies gilt als Einschränkung auch für die betagte Nasedkin-LP.

So hat – was die Gesamtaufnahmen von op. 72 betrifft – der nun 40jährige, aus dem russischen Chabarowsk stammende Igor Kamenz lediglich seine Landsfrau Viktoria Postnikova zu „fürchten“. In aller Eile und mit Bewunderung formuliert: er muss sie nicht fürchten. Kamenz erweist sich in allen brillanten, tänzerisch-übermütigen Wegstrecken als echter, fiebernder, gleichwohl kerngesunder Virtuose, als ein Pianist, der mit Augen- und Fingermaß die Grenzen des Spielbaren erkundet, das heißt: er strapaziert etwa die abschließende Scène dansante (in Trepak-Manier) nicht zur lärmenden Zugabe, vielmehr durchlüftet er das wirbelnde Stück mit musikalischem Lebensatem, zeigt, was oben und unten ist, erläutert, was noch kommen wird. Und diesem – wie mir scheint in jeder Hinsicht erholten – Igor Kamenz gelingt es, die sonderbare Düsternis der Scherzo-Fantaisie (Nr. 9) auszuhauchen, wie sie im Mittelteil dieses Stückes weit über die sozialen Eingrenzungen des Salons, die Salon-Musik hinauszielt, ja geradezu als Vorbote der Musik des 20. Jahrhunderts zu erleben ist. Ergreifend auch, wie Kamenz die elegischen Gesangslinien der Nummer 14 als fließendes, nonverbales Bekenntnis in zarter Schwingung hält – durchaus in Nähe zu Liszts Liebesträume Nr. 3.

Zusammenfassend erlaube ich mir von einer der literarisch wichtigsten, gestalterisch überzeugendsten Oehms-Editionen zu schwärmen, die zudem im aktuellen Katalog konkurrenzlos ist. Zugreifen also, solange der Vorrat reicht…!

Vergleichsaufnahmen: Ponti (Vox), Nasedkin (Melodya), Pletnev (Melodya), Ashkenazy (Nr. 2,3 u. 5 /Decca 466 562-2), Iannone (Nr. 7,8 und 12 /Phoenix 00608), Maisenberg (Nr. 5 /Glissando 779027-2), Postnikova (Erato 2292-45996-2), Richter (Nr. 5, 12 und 15 /Olympia OCD 334), Goldenweiser (Nr. 5 und 8 /Melodya /BMG 74321 25173 2).

Peter Cossé † [11.09.2009]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Peter Tschaikowsky
118 Pieces op. 72

Interpreten der Einspielung

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