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Besprechung CD

Classicclips CLCL 115

1 CD • 64min • 2009

26.05.2010

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Wirklich emanzipiert, nämlich als strukturgenerierende Kraft ernstgenommen, wurde das Schlagzeug erst im Jazz; als dieser zur Kunstform avancierte, stieß die Pop- und Rockmusik in die entstandene Lücke, reduzierte die Schlagzeugkunst auf bloßen Effekt und machte sie so kommerziell nutzbar. Zweifellos zugespitzt und vereinfacht, ist so oder so ähnlich doch im Wesentlichen die historische Situation umschrieben; eine Situation, die cum grano salis auch heute noch für Neue Musik gilt, die für Schlagzeug geschrieben wird. Der ansonsten informierte Begleittext von Robert von Zahn meint wohl etwas Ähnliches, wenn er resümiert: „SPLASH“ – also das hier vorgestellte Perkussionsensemble – „zeigt mit acht Schlagzeugern, wie klein und unnötig der Graben zwischen Rock und Neuer Musik ist“. Daß er mit dieser ideologisch natürlich heutzutage höchst konformen Meinung fundamental im Unrecht ist, zeigt die CD von SPLASH selbst.

Genauer gesagt, die einzelnen Stücke von insgesamt sechs Komponisten zeigen dies im direkten Vergleich. Es sind nicht zufällig die beiden klassischen Stücke, die beweisen, wie virtuos und assoziationsreich für reines Schlagzeugensemble komponiert werden kann, nämlich Varèses Pionierstück von 1931, Ionisation, mit seinem komplex rhythmisierten Anspielungsparcours zwischen Sirene, Telefon und Löwengebrüll, und Steve Reichs so frappierend reduzierte Music for Pieces of Wood von 1973: Hier wird das Ensemble von Klangstäbchen als eine Art hölzernen Uhrwerks inszeniert, mit Kleinststörungen im Getriebe und damit höchsten Anforderungen an das Timing der Spieler der Gruppe SPLASH, die diese vielleicht reinste Form des Reichschen Minimalismus bewundernswert meistern.

Die anderen, neueren Stücke demonstrieren – übrigens wenig überraschend –, dass Musik um so genrehafter und damit flacher wird, je mehr sie sich der faktisch erfolgreichen Popmusik annähert und damit ästhetisch andient. In Eckhard Kopetzkis Marimba Splash nutzt sich die zu poppige und damit zu generische Rhetorik der minimalistischen Patterns schnell ab. Dies gilt auch für Bonham, ein Stück des ungleich bekannteren Amerikaners Christopher Rouse, in welchem er 1988 dem Schlagzeuger John Bonham von Led Zeppelin seinen Tribut zollte. Egal, ob diese Geste nun persönlich oder liebedienerisch zu verstehen ist – Rouse braucht, kurz gesagt, acht Perkussionisten, um das nachzuahmen, was er an dem sicherlich talentierten Rockschlagzeuger gut findet. Doch dies ist wohlgemerkt nicht als Votum für die Überlegenheit der Rock-Musik zu verstehen. Das Stück hinterläßt einen doppelt defizitären Eindruck: nicht so anspringend wie Rock-Musik und nicht annähernd so reichhaltig wie Neue Musik.

Es bleiben die wertvollsten Entdeckungen dieser glänzend musizierten und technisch perfekt aufgenommenen Platte, nämlich Simon Limbricks Machine for Living und Stephan Froleyks Not yet near day. In Limbricks polymetrischer Studie wird mit bewußt unspektakulären Mitteln der Klangerzeugung inszeniert, wie drei unterschiedene metrische Schichten miteinander konfrontiert werden und sich schließlich aufeinander zubewegen. Limbrick könnte möglicherweise dieses gerade in seiner klanglichen Alltäglichkeit reizvolle Stück noch ein wenig überarbeiten: Es stellt eine Anti-Klimax dar, wenn nach dem atmosphärischen, marimba-summenden Mittelteil, die bürohafte Musik des Beginns wenig verändert wieder aufgenommen wird; die Reprise ist schlichtweg zu ähnlich. Eine ähnliche Situation ergibt sich für Stephan Froleyks Not yet near day: In dieser Studie bilden die sieben Blumenkästen eine siebentönige Skala; die Klänge sind faszinierend, naturhaft, und werden zusätzlich programmatisch aufgeladen durch das naturalistische Vogelgezwitscher. Es ist hier eine ziemlich willkürliche Gestaltung der Tonhöhen, die wohl gewollt ist, die aber letztlich kompositorische Möglichkeiten verschenkt.

Alles in allem ein Plädoyer für die exzellenten Musiker von SPLASH und dafür, komplexe Neue Musik mit exzessiver Schlagzeugbeteiligung zu schreiben – ohne auf den erfolgreichen, aber doch flachen Pop zu schielen.

Prof. Michael B. Weiß [26.05.2010]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Edgard Varèse
1Ionisation für 13 Schlagzeuger (1929/1931) 00:06:05
Simon Limbrick
2Machine for Living 00:11:32
Eckhard Kopetzki
3Concertino für 2 Marimbas und 4 Schlagzeuger (Marimba Splash) 00:14:04
Steve Reich
4Music for Pieces of Wood für Percussion-Ensemble 00:08:46
Stephan Froleyks
5Not yet near day 00:16:34
Christopher Rouse
6Bonham für 8 Schlagzeuger 00:06:56

Interpreten der Einspielung

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