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Besprechung CD

stan 1

1 CD • 54min • 2008

21.06.2010

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 6
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 6

Moderne Zeiten: Zu dieser CD gibt es kein Beiheft mehr, stattdessen ist auf der Rückseite ein Hinweis aufgedruckt, der für Informationen über diese Produktion zu einem Besuch im Internet einlädt. Auf stanmusic.de kann man sich dann zu verschiedenen Auskünften über die Einspielung und den Künstler durchklicken. Wenn das Sparen von Druckkosten der Sorgfalt zugute kommt, mit der so eine Produktion sonst durchgeführt wird, will man für weitere Aufklärung doch gern einen Spaziergang ins Internet unternehmen.

Der Anspruch, mit dem stanmusic die Einspielung des „,heiligen Grals’ der Celloliteratur“ angeht, ist kein kleiner: In dem klaren Bewusstsein, dass an Aufnahmen von Bachs sechs Solosuiten für Cello kein Mangel besteht, steckt man sich hier hohe Ziele. „… die meisten Musiker orientierten sich an ihren Vorläufern, eiferten ihren Lehrern nach“, lautet die Analyse der Marktlage und als Folgerung steht zu lesen: „So entstand Schicht um Schicht ein Panzer aus zu selten hinterfragten Gewohnheiten; die Seele dieser wunderbaren Musik wurde dadurch zunehmend unsichtbar. Unser Ziel war es demzufolge, den ursprünglichen Charakter der Cellosuiten hörbar, erfahrbar zu machen – sie zwar auf dem ihnen zustehenden Altar zu belassen, diesen allerdings ins echte Leben zu holen, vielleicht sogar auf diesem Altar einen Tanz zu wagen... “

Die Vorgaben für Werner Matzke hatten also durchaus einschüchternden Charakter. Zumal der Werbetext seines Labels so tut, als wären die zahlreichen Interpreten, die diese Stücke in den letzten Jahren auf CD eingespielt haben, samt und sonders Imitatoren mit einem Treuekomplex gegenüber ihrer jeweiligen Tradition. Eine gewagte Behauptung, wenn nicht bewusster Etikettenschwindel!

Die beiden Vergleichsaufnahmen sind 2007, ein Jahr vor dieser Einspielung, entstanden. Jean Guihen Queyras, fünf Jahre jünger als Werner Matzke, ist auf dem Barockcello ein ebenso erfahrener Solist wie auf dem modernen Instrument, er verwendet für seine Interpretation der Bach-Suiten kein Instrument der historisch informierten Aufführungspraxis, sondern ein in modernem Zustand befindliches 1696 gebautes Gioffredo-Cappa-Cello, das er selbst als „wundervolles Instrument“ preist. Queyras nähert sich also den Bach-Suiten zwar auf einem modernen Instrument, aber wohl informiert über die alten Spieltechniken; so verbindet er die Tradition mit den modernen Ergebnissen der musikalischen Entwicklung. Sigiswald Kuijken seinerseits hat sich seit 2004 dem Violoncello da spalla, dem „Schultercello“, zugewandt. Unter dem Namen „Viola pomposa“ war das Instrument Bach selbst als Erfindung zugeschrieben worden – tatsächlich war dieses an der rechten Schulter (italienisch: spalla) aufliegende und vor der Brust gestrichene Instrument bereits vor Bach bekannt und scheint eine große Verbreitung genossen zu haben. Gleichgültig, wie man sich zu Kuijkens These verhält, mit dem Violoncello da spalla das Instrument wiederentdeckt zu haben, für das Bach seine sechs Cellosuiten konzipierte, klingt das Ergebnis nicht zuletzt dank der überragenden Künstlerpersönlichkeit Sigiswald Kuijkens ungemein überzeugend.

Werner Matzke, 1962 geboren, war Schüler von Anner Bylsma und gehört seit der Ensemblegründung 1985 dem Orchester Concerto Köln an. Als Solist konzertiert er weltweit und gibt Kurse im In- und Ausland. In dem aus dem Internet herunterzuladenden Begleittext zur vorliegenden CD ist folgende Äußerung Matzkes zu lesen: „Diese Stücke werden meistens zelebriert. Es ist völlig aus dem Blick geraten, dass Bach tatsächlich Tanzsätze komponiert hat.“ Weiter beklagt Matzke zunächst, dass es von den Cellosuiten kein Autograph Bachs wie bei den Sonaten und Partiten für Solovioline gibt – die Cellosuiten existieren lediglich in zwei Abschriften, die laut Matzke „voller Unstimmigkeiten“ sind. Ein musikwissenschaftlich bedauerlicher Zustand, aber – so wiederum Matzke: „Wo der Komponistenwille nicht exakt überliefert ist, hat man auch mehr Freiheiten. Und das wäre die Basis für einen Disput.“ Immerhin ist man also bereit, den auf dieser CD präsentierten „ursprünglichen Charakter der Cellosuiten“ zu diskutieren – eine Konzilianz, die sonst weder bei der Präsentation der CD durch das Label noch in Matzkes Interpretation wahrzunehmen ist.

Wie in allen seinen Suiten, ob für Soloinstrument oder für Orchester, folgt Bach auch bei den Cellosuiten der Anordnung, wie sie sich in der Tradition des 17. Jahrhunderts herauskristallisiert hatte. Einzelne Sätze wie Sarabande und Gigue waren als Tänze längst aus der Mode gekommen, da helfen alle Beteuerungen des Labels wie des Interpreten nichts, Bach habe hier Tanzmusik geschrieben. Das Argument „Tanzmusik“ muss auch als Begründung für die generell sehr zügigen Tempi bei Matzke herhalten („Bach war ein temperamentvoller Mensch“), das führt allerdings bei den Menuetten, Bourréen und Gavotten, die als Modetänze zu Bachs Zeit im Gebrauch waren, dazu, dass den Tänzern ordentlich Beine gemacht wird und sie bei ihrem eiligen Vergnügen wohl tüchtig aus der Puste geraten würden. Missfallen erregen auch die Verzierungen, die eher an das Tänzeln der Lippizaner in der Wiener Hofreitschule erinnern als an musikalische Gestaltungsmittel innerhalb einer durchdachten Klangrede.

Man wird Werner Matzke trotz allem nicht den Vorwurf machen können, er habe den Notentext von Bachs Suiten für Solocello nicht verstanden – ein „Thema verfehlt“ wäre ein zu hartes Urteil. Doch ein ungetrübtes Hörvergnügen ist die erste Hälfte seiner Bach-Suiten nicht geworden, sehr im Unterschied zu den beiden Vergleichseinspielungen, die bei allem Unterschieden eine gemeinsame Haltung eint. Und wer das neueste in Sachen „Barockcello“ hören will, muss ohnehin zu Kuijkens Aufnahme mit dem „Schultercello“ greifen!

Das Klangbild der Produktion ist tadellos.

Vergleichsaufnahmen: Sigiswald Kuijken, Violoncello da Spalla (Accent 24196); Jean-Guihen Queyras (harmonia mundi HMC 901970-1).

Detmar Huchting [21.06.2010]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Suite Nr. 1 G-Dur BWV 1007 für Violoncello solo 00:14:33
7Suite Nr. 3 C-Dur BWV 1009 für Violoncello solo 00:18:03
13Suite Nr. 5 c-Moll BWV 1011 für Violoncello solo 00:21:08

Interpreten der Einspielung

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