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Besprechung CD

Dmitry Kabalevsky Complete Piano Concertos

cpo 777 658-2

2 CD • 1h 56min • 2010

05.10.2012

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Es gilt in diesem ganz besonderen musikpublizistischen „Fall" Unterschiede zu machen. An welcher biographischen und ästhetischen Marke der jeweilige Konsument die entscheidende Schnittstelle sieht, wo er Nachsicht vor Strenge walten lässt, dies gilt es zu entscheiden. Es geht einerseits um die fatale Rolle des 100-prozentig sowjetischen (Un-)Kulturpolitikers Dmitri Kabalevsky, andererseits um den Komponisten identischen Namens, der eine Menge Zeug, aber auch einiges an hörenswerter Musik hinterlassen hat. Über seine Rolle als Wächter über das sowjetrussische Kunstwesen vor allem im Bereich der klingenden Werte, aber auch als Verurteilender in Sachen Weltanschauung, ist im Begleitheft dieser insgesamt überraschenden und empfehlenswerten Edition kenntnisreich geschrieben, ja mehr noch: es wird erschöpfend insofern berichtet, als diese Erschöpfung durchaus auch den Leser, den posthumen Beobachter der sowjetischen Szenerie erfassen kann. Ich zitiere zur Untermauerung eine Passage aus dem umfangreichen Text von Charles K. Tomicik: „Zu Beginn der 1970er Jahre machte Kabalevsky noch einmal als politisch Handelnder von sich reden, als er einen offiziellen Brief unterzeichnete, der den prominenten Dissidenten Andrei Sacharow verdammte, die Mitunterzeichner dieses Briefes hießen Khatchaturian und Schostakowitsch (der als einziger Reue darüber äußerte, dem Druck nachgegeben zu haben: ‚Ich werde mir das bis ans Lebensende nicht verzeihen.')."

Trotz allem – so sollte man hier die Argumentation eröffnen – ist dem Pianisten und seinen Mitstreitern auf dem Podium und im Rahmen der herausgeberischen Arbeit zu danken, die rein musikalischen Leistungen Kabalevskys einmal ausführlich in den Vordergrund zu stellen. Die vier Klavierkonzerte sind Beispiele eines weitgehend hellen, pianistisch der Flinkheit verpflichteten, übersichtlichen Ausdrucks- und Formenprogramms. Ihnen ist an vielen Stellen etwas von Jugendlichkeit, von Optimismus und kollektivem Aufbau eigen. Die munteren, gelegentlich nachdenklichen bis elegischen Verlaufskurven wirken – ins Räumliche übertragen – stets gesichert. Das heißt: Kabelevsky eckt nicht an, er bewegt sich in der Mitte einer imaginären Konzertsprache, eben auf der sicheren Mitte. Das ist – besonders im ersten Satz des bekannteren D-Dur-Konzerts (op. 50) – mit einigem Wohlgefallen hörend zu verfolgen. Der Solist darf seine Initiativkraft auf ein flottes, eingängiges Eingangsthema fokussieren, mit liquiden, glitzernden Passagen seine Wendigkeit bestätigen. In keinem der vier Konzertstücke gibt es große Wallungen, getürmte Akkordsequenzen wie in den Konzerten von Anton Rubinstein, Nikolai Medtner, Sergei Rachmaninoff und Sergei Prokofieff. Der Tonfall bleibt adrett und kunstpolitisch unverdächtig, dies aber durchaus auf eine Art, die großes handwerkliches Können und eine gehörige Portion an rhetorischer und melodischer Gewandtheit verrät.

Michael Korstick und die NDR Radiophilharmonie unter der Leitung von Alun Francis bieten die vier Konzerte und die Rhapsodie (op. 75) mit aller nötigen Geschmeidigkeit, wenn erforderlich mit einer saftigen bis leicht süßlichen Klanglichkeit. Sie ist im Klavierpart ebenso angelegt wie in den Orchesterstimmen. Gelegentlich geht im Solopart gleichsam mit Expresszuschlag die Post ab, denn es handelt sich durchaus um Stücke für den erprobten Virtuosen – hier jedoch nicht für den muskulösen Klavierlöwen, sondern eher für eine schlanke Tastengazelle.

Nun aber – wie ich meine – zum eigentlichen Hauptkapitel dieser Veröffentlichung. Es handelt sich um Kabalevskys Konzerteinrichtung von Franz Schuberts f-Moll-Fantasie für Klavier zu vier Händen! Man fühlt sich sofort an Liszts Arrangement der Wanderer-Fantasie für Klavier und Orchester erinnert – und an deren ganze Problematik, was die an sich sinnreiche Idee der Schubert-Verbreitung, deren Anlage und ihre Wirkung anbelangt. Noch verletzlicher für ein solches Projekt der sozusagen konzertierten Aktion scheint im ersten Moment die weitgehend intim gehaltene f-Moll-Fantasie zu sein; man fühlt sich geradezu aufgefordert, jedem Komponisten Einhalt zu gebieten, falls er sich mit einem solchen Bearbeitungsansinnen an die Öffentlichkeit begibt. Und doch ist es Dmitri Kabalevsky gelungen, Schuberts so wundersam daher schaukelndes Vermächtnis allen seelisch-musikalischen Schwingungen gemäß zu instrumentalisieren. Ich zögere nicht, nun – in Kenntnis der äußerst bedachten, ruhend-nervösen, klug bis zur Kantigkeit und Ungebärdigkeit angeheizten Darbietung – von einer Variante des Werkes zu schwärmen, die viel mehr ist als nur eine Besetzungskuriosität. In weiten Teilen dieser Bearbeitung scheint Schubert persönlich per Klavier und Orchester zu uns Hörern im 21. Jahrhundert zu sprechen. Wir dürfen es Michael Korstick danken, solche Auskunft bekommen zu haben.

Vergleichsaufnahmen: Konzerte Nr. 1: Bang - Yablonsky (Naxos 8.557683); Stott - N. Järvi (Chandos 10384); Nr. 2: Bang - Yablonsky (Naxos 8.557683); Nr. 3: Liu Hsin-Ni - D. Yablonsky (Naxos 8.557794); Nr. 4: Stott - N. Järvi (Chandos 10384); Rhapsodie: Liu Hsin-Ni - D. Yablonsky (Naxos 8.557794).

Peter Cossé † [05.10.2012]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Dimitri Kabalewsky
1Klavierkonzert Nr. 1 a-Moll op. 9 00:32:25
4Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 23 00:23:39
CD/SACD 2
1Klavierkonzert Nr. 3 D-Dur op. 50 00:17:39
4Fantasie f-Moll für Klavier (nach Schubert D 940) 00:24:37
7Rhapsodie op. 75 für Klavier und Orchester (über das Thema des Liedes School Years) 00:11:46
8Klavierkonzert Nr. 4 C-Dur op. 99 00:12:41

Interpreten der Einspielung

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