SaxoFOLK
MDG 903 1834-6
1 CD/SACD stereo/surround • 60min • 2013
28.03.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Ob das Saxophonquartett, vor gar nicht so langer Zeit noch ein Exot unter den Ensembles, wohl einst einmal so geläufig sein wird wie das Streichquartett? Das junge Berlage Saxophone Quartet, 2008 in Amsterdam gegründet, erhielt immerhin Kollektivunterricht bei drei renommierten Streichquartetten, darunter dem ehrwürdigen Alban Berg-Quartett. Tatsächlich zeigt das hier vorgelegtes Debütalbum, dass die vier Musiker in den Möglichkeiten des Zusammenspiels dem Streichquartett in nichts nachstehen (der wohl unvermeidliche Wortwitz des Titels „SaxoFOLK“ signalisiert, dass die hier versammelten Werke sich sämtlich irgendwie von Volksmusik anregen ließen).
Dass das Saxophonquartett durch die Gleichartigkeit der vier Instrumente zu einer Geschlossenheit des Timbres fähig ist, das an eine Orgel erinnert, ist bekannt; die Choralpassagen aus Mussorgskys Klavierstück Im Dorfe explorieren denn auch genau diese Fähigkeit, wie auch die akkordischen und motivischen Entwicklungen aus Griegs Hochzeit auf Troldhaugen aus den Lyrischen Stücken. Die Homogenität des Berlage Saxophone Quartets ist tatsächlich, auch im Vergleich mit anderen Ensembles, exorbitant. Wenn aber das Saxophonquartett mit den so unendlich scheinenden Möglichkeiten des Streichquartetts wirklich mithalten will, kommt es nicht nur auf Geschlossenheit an, sondern auch darauf, die Instrumente gegeneinander zu individuieren. Dies geschieht etwa in den raunenden Synkopen der Mussorgsky'schen Kinderspiele, über welchen die Melodie des Sopransaxophons frei schweben kann, während die Miniaturen Albéniz', Schulhoffs und Piazzolla – ohne Tango geht es offenbar nicht – das Quartett eher als Einheit zeigen, die zwar atmet, deren Möglichkeiten aber begrenzt sind.
Wie diese Einheit kompositorisch geistreich aufgebrochen kann, beweist hingegen der frühe Originalbeitrag Gabriel Piernés (1863 – 1937), der, ein Zeitgenosse Ravels und Debussys, hierzulande noch viel zu unbekannt ist. Besonders aber in den Sechs Bagatellen Ligetis, neben Piernés Quartett dem substanzvollsten der hier vorgestellten Werke, präsentieren sich die hervorragenden Bläser so solistisch unabhängig, daß einmal reizvolle Differenzen im Ensemblespiel auftreten: Im „Allegro grazioso“ ergibt sich eine vollkommene Unabhängigkeit der Stimmen, ähnlich, wie das Panorama durch die tiefen Glocken in dem Bartók-Memento und die darüber sich entwickelnden Gesänge stark erweitert wird, über bloße perfekte Gleichförmigkeit hinaus. Das Rätsel, wie aus Ligetis berühmten Stücken für Bläserquintett solche für Quartett gemacht werden können, ist leicht aufzulösen: Ligeti hatte die originalen Stücke selbst seiner Klaviersammlung Musica ricercata entnommen und instrumentiert; die geschickte Adaption durch Guillaume Bourgogne, die etwa die Klavierflageoletts des „Rubato. Lamentoso“ sehr überzeugend für die Saxophone übersetzt, ist sogar vom Komponisten autorisiert worden. Welche Welten zwischen Ligeti und seinem Lehrer Ferenc Farkas (1905 – 2000) liegen, machen Farkas wunderbar konzise Altungarischen Tänze anschaulich, die den Hörer unversehens in den Frühbarock versetzen.
Am Ende sind es jedoch die kompositorisch anspruchsvollen Werke, besonders Mussorgskys, Piernés und Ligetis, die das Saxophonquartett seinen ureigenen Möglichkeiten nach tatsächlich dem Streichquartett vergleichbar machen. Für das zweite Album, das hoffentlich bereits in Planung ist, sollte sich das Berlage Saxophone Quartet vielleicht noch stärker auf gewichtigere Literatur konzentrieren; ihr Debüt jedenfalls ist schon einmal glänzend gelungen.
Prof. Michael B. Weiß [28.03.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Isaac Albéniz | ||
1 | Aragon op. 47 Nr. 6 – Fantasia | 00:04:22 |
Modest Mussorgsky | ||
2 | Au village (1880) | 00:04:20 |
3 | Children's Games | 00:02:51 |
4 | Scherzo cis-Moll | 00:04:14 |
György Ligeti | ||
5 | Sechs Bagatellen for Wind Quintet | 00:01:07 |
6 | Sechs Bagatellen for Wind Quintet | 00:02:51 |
7 | Sechs Bagatellen for Wind Quintet | 00:02:26 |
8 | Sechs Bagatellen for Wind Quintet | 00:00:56 |
9 | Adagio Mesto | 00:02:06 |
10 | Sechs Bagatellen for Wind Quintet | 00:01:28 |
Edvard Grieg | ||
11 | Wedding Day at Troldhaugen D major op. 65 No. 6 (1896) – Tempo di marcia un poco vivace - Poco tranquillo - Tempo I | 00:06:05 |
12 | Puck op. 71 No. 3 – Allegro molto | 00:01:57 |
Astor Piazzolla | ||
13 | Milonga del Angel für Klavier (1990) | 00:06:41 |
Gabriel Pierné | ||
14 | Introduction et variations sur une ronde populaire | 00:08:22 |
Erwin Schulhoff | ||
15 | Charleston (Pour Zez Confrey) | 00:01:12 |
16 | Blues (pour Paul Whiteman) | 00:02:49 |
Ferenc Farkas | ||
17 | Alte ungarische Tänze aus dem 17. Jahrhundert | 00:01:37 |
Interpreten der Einspielung
- SaxoFOLK (Saxophonquartett)