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Besprechung CD

Robert Kahn Complete Piano Trios

cpo 777 791-2

2 CD • 1h 53min • 2011, 2012

29.05.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Robert Kahn (1865-1951) war zwar ein Zeitgenosse von Richard Strauss und Jean Sibelius, und irgendwann auch einer von den Herren aus alter Zeit, die beide Weltkriege überlebt hatten, doch stilistisch ist er bekennender Brahmsianer geblieben. Dies hatte zur Folge, dass die Musikintellektuellen und Meinungsmacher sich nicht im geringsten für ihn interessierten und er nach frühen Erfolgen völliger Vergessenheit anheimfiel. Heute, wo es vorbei ist mit dem Glauben an den glorreichen, immerwährenden Fortschritt des Materials, fangen wir an, uns das ganze Spektrum künstlerischen Schaffens zu Gemüte zu führen, und es spielt keine Rolle mehr für eine objektive Annäherung, für die Begutachtung der immanenten Qualität, ob einer früher oder später dran ist. Natürlich, als Kahn um die Jahrhundertwende seine Klaviertrios Nr. 2 und 3 schrieb, die unter den vier hier vorgelegten Werken herausragen, standen schon Schönberg und Strawinsky in den Startlöchern, hatten Debussy, Strauss, Sibelius, Scriabin oder John Foulds damit begonnen, neue Horizonte zu erschließen. Bald darauf entstanden Sacre du printemps, Pierrot lunaire und der Wunderbare Mandarin, die Zwölftontechnik breitete ihr Spinnennetz aus, Ives und Varèse revolutionierten das Hören von Grund auf. Und als Kahn starb, war bereits Boulez auf den Plan getreten, hatte mit der Robotermusik seiner Douze Notations eine neue Ära eingeläutet, die in die technokratische Ästhetik des Serialismus ausmündete und keine anderen Stimmen mehr neben sich duldete. Wie schön ist es nun in rückschauender Betrachtung, dass weiterhin alles nebeneinander existierte, und dass wir heute nicht mehr darüber zu urteilen uns anmaßen müssen, ob etwas „auf der Höhe der Zeit“ gewesen sei oder nicht. Es gibt Pioniere, und ebenso gibt es Bewahrer. Was groß (oder besser) ist, entscheidet stets allein der Einzelfall.

Begrüßen wir also Robert Kahn, der zeitlebens auf den von Brahms vorgegebenen Bahnen wandelte und zumal von den fortgeschrittenen Hausmusikern seiner Zeit hoch geschätzt wurde. Zuerst: seine Musik hat Substanz, eingängige und zugleich noble melodische Erfindung ist stets vorhanden, das Handwerkliche steht über jeglichem Zweifel, und doch ist sie nie belehrend akademisch. Kahn war kein kämpferischer Reaktionär, sondern schlicht einer, der genau das tat, was ihm – und vielen andern mit ihm – gefiel. Robert Kahn entstammte einer reichen Mannheimer jüdischen Familie und war mit dem Komponisten Friedrich Gernsheim, der vier wertvolle Symphonien geschrieben hat, verwandt. Er studierte Komposition bei Woldemar Bargiel, Friedrich Kiel und Joseph Rheinberger, also durchweg konservativen Meistern, und genoss 1887 in Wien die unmittelbare Unterweisung durch Johannes Brahms, den er seit seiner frühen Jugend zeitlebens zutiefst verehrte.

Die vier Klaviertrios sind zwischen 1893 und 1914 entstanden. Was Kahn von Brahms unterscheidet, ist bei aller Neigung zur Elegie das größere Vorwiegen einer leichtfüßigen Eleganz, die weit geringere Neigung zu herb grüblerischer Introversion. So finde ich auch, dass bezeichnenderweise im zweiten Trio in Es-Dur op. 33 seine Vorzüge noch klarer zu Ausdruck kommen als im nachfolgenden dunkleren c-moll-Trio op. 35, welches gleichwohl keineswegs von geringerem Wert ist. Kahn beherrschte alle Kunststücke des polyphonen Satzes auf der Höhe der Epoche, doch komponierte er nicht demonstrativ kontrapunktierend wie manche durchaus exzellente Meister wie Draeseke oder der Schwede Stenhammar, sondern verbarg die Kunstfertigkeit stets diskret im geschmeidigen Fluss der melodischen Linie, wie dies ja gerade Brahms so vollendet vorgelebt hatte. Das vierte Trio in e-moll ist eher ein etwas leichtgewichtigerer Nachklang, von Kahn treffend als „eine Art Serenade“ bezeichnet, und dies voranstellend nicht von geringerem Wert, sondern lediglich von bescheidenerer Ambition. Die Darbietungen des Hyperion Trio (Hagen Schwarzrock, Klavier; Oliver Kipp, Violine; Katharina Troe, Cello) zeugen von eingehender Beschäftigung und innigem Zusammenspiel und sind ein glänzendes Plädoyer für einen Meister, der es wahrhaft verdient hat, wieder zur Kenntnis genommen zu werden. Man wird jetzt nicht gleich überall Kahn spielen, doch gelegentlich täte es gut, seine Stimme auch in Konzerten zu hören, insbesondere in Kombination etwa mit Klaviertrios von Mendelssohn, Schumann, Volkmann und Brahms, oder auch als gediegen deutscher Kontrast zum fast gleichaltrigen Gabriel Fauré. Was mich jetzt ganz besonders interessieren würde, ist sein nach 1937 überwiegend ab 1939 in der Emigration in England entstandenes ‚Tagebuch in Tönen’ für Klavier. Der Aufnahmeklang ist sehr ausgewogen, der Booklettext von Jakob Hauschildt liefert eingehende Information.

Christoph Schlüren [29.05.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Robert Kahn
1Klaviertrio Nr. 1 E-Dur op. 19 00:31:01
4Klaviertrio Nr. 2 Es-Dur op. 33 00:26:40
CD/SACD 2
1Klaviertrio Nr. 3 c-Moll op. 35 00:22:17
4Klaviertrio Nr. 4 e-Moll op. 72 00:32:50

Interpreten der Einspielung

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