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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Ondine ODE 1251-5

1 CD/SACD stereo/surround • 75min • 2014

11.07.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Die Frage der musikalischen Gestaltung bei diesem gigantischen orchestralen Bauwerk in zehn Einheiten ist eine weit überwiegend rein technische – wie makellos gelingt es, die vertikale Klangmassenorganisation transparent und in orgelhafter Verschmelzung der Gruppen zu strukturieren (also auch zum guten Teil eine Angelegenheit des hochstehenden Niveaus der Einzelmusiker, das für möglichst schmerzfreie Intonation insbesondere der konsonanten Akkorde und der Stimmverdopplungen in den akrobatischen Linien Voraussetzung ist), die Synchronizität der Ausführung der unregelmäßig gezackten Rhythmen auch in weiten Lagenabständen, die Exaktheit der vielen abrupten Tempowechsel, die Geschmeidigkeit und Brillanz der Soli. In all diesen Hinsichten agiert das Symphonieorchester des Finnischen Rundfunks aus Helsinki unter Hannu Lintu, einem der Hauptdirigenten des finnischen Ondine-Labels, auf Weltniveau, dank natürlich auch der vortrefflichen Angela Hewitt am Klavier und der ihren außermenschlichen Ondes Martenot ein Maximum an Ausdruckskraft abringenden Valérie Hartmann-Claverie – diese beiden Instrumente sind denn auch klangtechnisch solistisch angehoben. Insgesamt fällt übrigens auf, dass ein finnischer Messiaen im Grundcharakter etwas anders klingt als ein französischer oder deutscher: kompakter, dunkler, gewichtiger. Eine dunkel gleißende lebendige Orgel.

Schwächen sind üblicherweise, dort festzustellen, wo die Fortschreitungen nicht abstrakt atonal erfunden sind, sondern klare diatonische Beziehungen durchscheinen, also vor allem in dem immer wieder zyklisch zurückkehrenden Choralsatz der tiefen Blech- und Holzbläser aus dem ersten Satz. Phrasierung ist hier schlicht eine Fehlanzeige, alles kommt im gleichen unsensiblen Fortissimo, statt eines klar zu empfindenden Spannungsbogens begegnen wir ruppig auf- und abrückenden Klangsäulen. Schade um die mehrfach verschenkte Gelegenheit, das lässt sich viel musikalischer artikulieren, wenn man nicht auf die fixe Idee, jeden Akkord gleichermaßen mit voller Kraft zu markieren, versteift ist, wenn auch das Fortissimo Nuancierungen kennt.

Ich möchte an diesem nach wie vor sensationell klingenden Meisterwerk der Moderne der späten vierziger Jahre, das von Koussevitzky in Auftrag gegeben und am 2. Dezember 1949 durch das Boston Symphony Orchestra unter Leonard Bernstein aus der Taufe gehoben wurde, gerne auch noch ein wenig Werkkritik üben. Die Klangwelt der Turangalîla Symphonie ist einzigartig und wird es bleiben, wie auch die seltsame Verknüpfung von teils strahlend konsonanter Akkordik und künstlich generierten, der Tonalität ausweichenden Skalen, die eine merkwürdig berührende Mischung von menschlicher Emotionalität und unnahbar religiöser Klonkrieger-Ekstase zur Folge hat. Es ist eine Art Aspartam-Musik. Sie hat Süße, doch diese Süße ist nicht mehr auf traditionell natürliche Weise durch das menschliche Gefühl bewegende Akkordfolgen erreicht, sondern durch die in sich kreisende Weichheit der skalengenerierten Motivik und das betörende Farbenspiel. Es ist also ideale Nahrung für jene musikalischen Diabetiker, die glauben, den Zucker der Musikgeschichte nicht mehr vertragen zu können. So viel kunsthandwerklichen Kitsch in atonaler Verpackung wie Messiaen hat wohl kaum einer sonst produziert – Kitsch, der so fantastisch klingt, dass selbst der abgebrühteste Kenner bei der Wiederbegegnung fasziniert sein muss. Es ist wahrhaft ein kaum nachahmliches Kunststück, mit den intervallischen Mitteln der sogenannten Atonalität – also harmonischen Beziehungsarmut, jedenfalls was längere Strecken betrifft – eine solch verzaubernde, von Süßigkeit überquellende Wirkung zu erzielen, in der Vogelmotive und exotische Traditionen in delikaten Würzmischungen beigegeben sind. Und mit dermaßen vertrackt kalkulierter Rhythmik derart mitreißende Qualität durchorganisierten Tumults zu entfachen! Kein Wunder, wenn der greise Serge Koussevitzky nach der Première die Turangalîla Symphonie für das wichtigste Musikstück seit Strawinskys Sacre du printemps hielt. Ein monströses Kultwerk der vielfarbig schillernden Raffinesse, ein kontrastscharfes Ritual ohne Kontrapunkt, ohne harmonisch zusammenhängenden Spannungsverlauf, auch in den rhythmisch-metrischen Wirkungen aus einem Fundament mechanistischer Struktur abgeleitet. Ein Leuchtturm der Ästhetik der Nachkriegsmoderne. Das Klangbild ist grandios in der klar definierten Weite des Spektrums und Ausleuchtung des Satzdickichts. Sachlich informativ und von Begeisterung getragen ist der englische Bookletessay von Philip Hammond.

Christoph Schlüren [11.07.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Olivier Messiaen
1Turangalîla-Sinfonie für Klavier, Ondes Martenot und großes Orchester 01:15:08

Interpreten der Einspielung

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