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Besprechung CD

Michael Gielen Edition 2 Anton Bruckner Symphonies No. 1-9

Aufnahmen 1968-2013

SWRmusic SWR19014CD

10 CD • 9h 41min • 1968-2013

15.06.2016

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Die einen sehen in Anton Bruckner einen formstrengen Minimalisten, der über seine gesamten Sinfonien hinweg einem festgelegten Kompositionsprinzip fast statisch treu blieb. Andere, wie zum Beispiel der Dirigent Michael Gielen halten entgegen, dass die vielen musikalischen Ideen viel zu individuell sind, als dass man von der „typischen“ Bruckner-Sinfonie sprechen könnte. Diesem Credo hat Michael Gielen gehuldigt, als er zwischen 1963 und 2013 Bruckners gesamtes sinfonisches Werke eingespielt hat. Jetzt liegt als Teil 2 einer neuen Gesamt-Edition das ganze sinfonische Schaffen Bruckners in der Interpretation durch Michael Gielen mit dem SWR-Sinfonieorchester und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken vor. Das ist gut so, denn die Auseinandersetzung mit dem Sinfoniker Bruckner gelingt am besten in der Gesamtperspektive, vor allem, wenn die Interpretationen trotz unterschiedlicher Entstehungszeitpunkte in dieser Edition wie aus einem Guss anmuten.

Zum ersten Mal liegen hier Gielen-Interpretationen der Sinfonien 1,2,8 und 9 vor. Die Sinfonien Nr. 4 und 8 erklingen gewissermaßen in neuem Gewand, da Gielen hier auf die ersten Ur-Fassungen zurückgriff. Überhaupt ist es ihm ein Anliegen, mit möglichst frühen Fassungen so direkt wie möglich an die Ideen-Ursprünge heran zu kommen.

Man sollte sich die Zeit nehmen, um sämtliche zehn CDs chronologisch zu hören! Denn dies macht den Entwicklungsprozess in der sinfonischen Sprache des Linzers Spätromantikers deutlich. Vor allem die Tatsache, dass Bruckners kompositorischer Reichtum weit über das Etikett „spätromantisch“ hinaus geht. Musikalische Aussagen wachsen und verändern sich über eine lange Lebensspanne hinweg – zugleich bleibt eine formalen Prinzipientreue weitgehend unangetastet, mit der sich Bruckner noch ganz als bewahrender Komponist des 19. Jahrhunderts zeigt.

Die Deutung dieser Musik durch Michael Gielen legt diese Einheit aus objektiver Kontinuität und subjektivem Wandel mit hellhöriger Klarheit offen. Bruckner selbst soll bei seinen ersten Sinfonien noch ein stark Zweifelnder gewesen sind. Das selbstbewusst auftrumpfende Spiel des SWR-Sinfonieorchester macht klar, das höchste kompositorische Vollkommenheit schon ab der ersten Sinfonie vorhanden ist. Ebenso wird packend erfahrbar, wie Bruckners Musik alte und zeitgenössische Einflüsse aufnimmt und zur eigenen Sache macht. Natürlich an vielen Stellen Wagner, aber ebenso das Erbe der Bachschen Polyphonie. Vor allem sie wird in die eigene Tonsprache transformiert – davon zeugt allein schon die spektakuläre Kontrapunktik im vierten Satz der fünften Sinfonie. Später streben großangelegte musikarchitektonische Verläufe immer kolossaleren Höhepunkten entgegen – bis schließlich in der unvollendeten letzten Sinfonie eine spürbare Todesnähe mit innigster Empfindung eins wird.

Michael Gielen und das SWR Sinfonieorchester machen solche Strukturmerkmale und psychologischen Wesenszüge erfahrbar, weil hier die Musik beim Wort genommen wird. Immer geht es um die Architektur und den klaren, wachen Blick auf die Komposition. Klar und leuchtend, manchmal schneidend artikulieren Streicher und Bläser, herbe Reibungseffekte entstehen durch die phasenweise jeden Schönklang konterkarierende Dissonanzen. Bedrohlich verdichten Paukenwirbel die Klangmassen, wenn der sinfonische Kolkoss gravitätisch seine Fahrt aufnimmt. Hypnotische Zustände evozieren ist nicht so sehr das Anliegen, dafür umso mehr das Aufzeigen von Dimensionen, auch in den kühl dosierten, aber nicht minder überwältigenden dynamischen Steigerungen.

Gielen galt bis dahin als Vorkämpfer straffer Tempi, um damit vor allem Mozart und Beethoven eine „zeitgemäßere“ innere Spannung einzuverleiben. Die hier erstmalig vorliegenden Bruckner-Interpretationen überraschen durch den gegenteiligen Eindruck: Die Scherzo-Sätze, die ohnehin in fast allen Sinfonien zu Höhepunkten mit Ohrwurmcharakter werden, pulsieren meist stoisch und mächtig – wo andere (man denke etwa an Paavo Järvi) die Musik hier viel atemloser „swingen“ lassen, was natürlich nicht minder plausibel sein kann. Bei Gielen und den Orchestern aus Baden-Baden und Saarbrücken geht es durchweg anders zur Sache: Das führt dazu, dass nicht nur das resolut auftrumpfende Scherzo in der ersten Sinfonie eine regelrecht mechanistische, durchaus schon moderne Aura entfaltet.

Stefan Pieper [15.06.2016]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Anton Bruckner
1Sinfonie Nr. 1 c-Moll WAB 101 00:52:01
CD/SACD 2
1Sinfonie Nr. 2 c-Moll WAB 102 01:00:39
CD/SACD 3
1Sinfonie Nr. 3 d-Moll WAB 103 00:55:40
CD/SACD 4
1Sinfonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104 (Romantische) 01:04:13
CD/SACD 5
1Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 01:10:27
CD/SACD 6
1Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 00:57:00
CD/SACD 7
1Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 00:58:32
CD/SACD 8
1Sinfonie Nr. 8 c-Moll WAB 108 01:08:38
CD/SACD 9
1Sinfonie Nr. 9 - Finale No. 9 00:27:09
CD/SACD 10
1Sinfonie Nr. 9 d-Moll WAB 109 01:07:02

Interpreten der Einspielung

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