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Besprechung CD

Paul Juon

Rhapsodische Sinfonie • Sinfonietta Capricciosa

cpo 777 908-2

1 CD • 73min • 2015

14.12.2016

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Mit der Rhapsodischen Sinfonie op. 95, der dritten und letzten Symphonie von Paul Juon (1872-1940), präsentiert cpo ein bedeutendes Meisterwerk der symphonischen Tradition der Generation Strauss-Woyrsch-Pfitzner-Büttner in Ersteinspielung, bei dem man sich sehr wundern muss, dass sich bisher noch niemand daran versucht hat. Und als wäre dem nicht genug, wird auch noch Juons letztes großes Werk beigegeben, die dreisätzige Sinfonietta capricciosa op. 98, die ursprünglich auch eine Symphonie werden sollte. Juon hat hier in seinen späten Jahren zum Kern seiner Aussage gefunden, hat sich weitgehend entkoppelt von den großen Vorbildern, die er sowohl in der russischen als auch in der deutschen Tradition vorfand. Es ist nicht einfach, ihn stilistisch zu lokalisieren, den in Moskau geborenen Spross einer aus Graubündnern und Deutsch-Balten formierten Familie, dessen Vater sich zum Direktor einer Moskauer Feuerversicherung hochgedient hatte. Juon war zunächst Student von Sergej Tanejev und Anton Arensky, also der großen Handwerksmeister aus der Tschaikowsky-Schule, dann in Berlin kurzzeitig noch von Woldemar Bargiel, dem Schumann-nahen Vertreter gediegen konservativer Ausrichtung. Er hatte das Glück, in Berlin im Verleger Robert Lienau einen höchst loyalen Förderer zu finden, und feierte mit seiner 1903 komponierten zweiten Symphonie in A-Dur op. 23, die 1905 in Meiningen unter Fritz Steinbach uraufgeführt wurde, seinen triumphalen Durchbruch. Doch auch er sollte zu den Verlierern des Ersten Weltkriegs gehören und danach in seiner Reputation weitgehend auf die Kammer- und Hausmusik beschränkt bleiben, auch wenn er weiterhin sehr bemerkenswerte Orchesterwerke (darunter drei Violinkonzerte) schrieb. Fast 35 Jahre liegen zwischen der Fertigstellung seiner zweiten Symphonie und der dritten, der hier vorliegenden ‚Rhapsodischen’, die 1938 in Düsseldorf zur Uraufführung kam, als er sich bereits vier Jahre auf seinen Schweizer Alterswohnsitz in Vevey zurückgezogen hatte. War die Zweite noch traditionell viersätzig gewesen, so fasst die Dritte nun die vier Sätze in zwei großen Abteilungen zusammen, in zyklischer Anlage, die zum Ende den Beginn wiederkehren lässt und in vorliegender Einspielung eine knappe Dreiviertelstunde umfasst. Graeme Jenkins leitet die Bamberger Symphoniker in bewusst vorausschauender, umsichtiger und sehr präziser Weise, wo nötig – wie gegen Ende des Werkes – mit messerscharf koordinierter Virtuosität. Aber er hat auch Sinn für die weitgeschwungenen Melodiebögen, für die rhythmischen Überlagerungen und metrischen Verschiebungen, die Deutlichkeit der triolischen Artikulation, das nicht immer leicht herzustellende Gleichgewicht der Orchestration, die allerdings als fulminant bezeichnet werden darf und äußerst farbenreich Elemente Brahmsischer und russischer Couleur zu unverkennbar versponnenem Eigenton verschmilzt. Unbedingt sollten sich alle Pfitznerianer diese Musik anhören, es gibt eine vielleicht auch im Zeitgenossentum begründete Wesensverwandtschaft, wenngleich Juon zwar auch ein paar entfernt kauzige Züge aufweist, jedoch letztlich bei weitem nicht so grüblerisch introvertiert veranlagt ist, und die Schlusswendung ins Triumphale ihm viel organischer gelingt als wir dergleichen von Pfitzner kennen. Auch ist sein symphonischer Aufbau viel klarer konturiert, trotz aller fantasierend rhapsodischen Elemente immer dramaturgisch schlüssig ausgerichtet, und zeugt von untrüglichem Sinn für den Aufbau der energetisch zusammenhängenden großen Form. Juon ist ein eigenwilliger Symphoniker, Meister im Zarten wie im Machtvollen, im Bizarren wie im Weihevollen, und das Bonmot, er sei das fehlende Bindeglied zwischen Tschaikowsky und Strawinsky, führt zielsicher in die Irre. Vielmehr verbindet er die deutsche und die russische symphonische Tradition – mit starken slawischen Einschlägen in der Melodik, wie man sie auch bei seinem extrem unterschätzten Zeitgenossen Heinrich Gottlieb Noren beobachten kann – und würzt sie mit Dissonanzen seiner Zeit, die er gerne mit Terz- und Sextparallelführungen einführt, und dies nun doch ganz anders, auch verhaltener, unauffälliger, als zur gleichen Zeit der junge Schostakowitsch. Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Traditionalist. Mit der 1939 vollendeten Sinfonietta capricciosa mit ihrem wunderbaren langsamen Satz und ihren launig flunkernden, voller Abruptheiten und kühnen Kombinationen überraschenden bewegten Ecksätzen, die 1940 kurz vor seinem Tode uraufgeführt wurde, schenkte uns Juon ein weiteres unverwechselbares Werk, das gerne öfter im Konzert gespielt werden dürfte. Auch hier schlagen sich die Bamberger Symphoniker unter Jenkins beachtlich, wenngleich man mehr noch als bei der Symphonie bedauern darf, dass man der Aufnahme nun doch deutlich anmerkt, dass das Stück unbekannt ist. Es müsste viel mehr Zeit für solche Ersteinspielungen zur Verfügung stehen, man müsste sie vor der Aufnahme im Konzert spielen und wirklich natürlich darin zuhause sein. Doch wer würde das finanzieren (können)? Die Aufnahme- und Klangqualität ist ausgezeichnet, durchsichtig und klangschön. Ein besonderes Highlight ist wieder einmal der ausführliche Booklettext von Eckhardt van den Hoogen, der uns wie schon bei der Gesamteinspielung der vier Streichquartette Juons Persönlichkeit, Lebensumstände, Werkgenesis und Eigenarten der Musik (er hebt hier besonders die Verwandtschaft zu Franz Schreker hervor) nahebringt, und dies in literarisch köstlicher Weise. Gäbe es so etwas wie eine jährliche Auszeichnung für den besten Bookletautor (warum eigentlich nicht ? warum gibt es dafür keinen Preis der Industrie, und keinen der Deutschen Schallplattenkritik?), van den Hoogen wäre ein klarer Favorit. Wer sich übrigens für die ersten beiden Symphonien Juons interessiert: diese, unlängst beim schwedischen Label Sterling erschienen, sind mittlerweile via Naxos auch in Deutschland erhältlich und ergänzen das Bild dieses feinen Komponisten in vortrefflicher Weise. Und die Partituren der Symphonien op. 23 und op. 95 sind als Nachdrucke bei Repertoire Explorer (www.musikmph.de) erschienen. Man nimmt ihn also längst nicht mehr nur in der Schweiz wahr.

Christoph Schlüren [14.12.2016]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Paul Juon
1Rhapsodische Sinfonie op. 95 00:43:24
3Sinfonietta Capricciosa op. 98 00:29:12

Interpreten der Einspielung

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