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Besprechung CD

Carl Reinecke

The String Quartets

cpo 555 184-2

2 CD • 2h 04min • 2017, 2018

21.01.2019

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Carl Reineckes Äußerungen zur eigenen Komponistentätigkeit sind wahrlich nicht die beste Werbung für seine Werke, und ich möchte gleich vorausschicken, dass seine in der vorliegenden Edition erstmals auf CD präsentierten Streichquartette mir kaum Anlass bieten, die Minderwertigkeitsgefühle nachzuvollziehen, die ihn anscheinend regelmäßig heimsuchten. Sein Komponieren spricht freilich eine andere Sprache. Immerhin hat er es auf 288 Opusnummern gebracht – eine beeindruckende Zahl, selbst wenn man bedenkt, dass Reinecke überdurchschnittlich lange lebte und sein op. 1 mit 14 Jahren veröffentlichte. So viele Werke hielt er für würdig, aufgeschrieben, offiziell gezählt und an die Öffentlichkeit gebracht zu werden. (Im Beiheft wird zudem angedeutet, dass er durchaus wusste, sich mit Kompositionen, die dem eigenen Urteil nicht standgehalten hatten, zu einer warmen Stube zu verhelfen.)

Wie ihre Opuszahlen (16, 30, 132, 211 und 287) verraten, verteilen sich die fünf Streichquartette Reineckes ziemlich gleichmäßig über seine mehr als sieben Jahrzehnte währende Komponistenlaufbahn: Nr. 1 entstand 1843, Nr. 5 wurde 1909 publiziert. Man hört in ihnen nicht die Entwicklung „der“ Musikgeschichte – als „modern“ konnte Reinecke nur in seiner Jugend gelten –, wohl aber die persönliche Entwicklung eines nach formaler Abrundung strebenden Traditionalisten, der seine starke Prägung durch Mendelssohn und Schumann nie verleugnete. So erscheint Reineckes Geschick zur klanglichen Gestaltung bereits im Ersten Quartett vollkommen ausgeprägt, doch ist es satztechnisch insgesamt schlichter gestaltet als die übrigen. Die kontrapunktischen Abschnitte wirken hier noch durchaus demonstrativ; in den späteren Werken wird die Polyphonie unauffälliger, abwechslungsreicher und flüssiger eingesetzt, als selbstverständliches Mittel künstlerischer Aussage.

Es finden sich zahlreiche feine Einfälle in diesen Quartetten. Als durchweg sehr gelungen möchte ich die langsamen Sätze bezeichnen, besonders denjenigen in Nr. 4 mit seiner sich wie schwerelos entfaltenden Melodik. Das Andante der Nr. 1 bietet atmosphärische Nachklänge aus Gades Ossian. Dem Zweiten Quartett in F-Dur hat Reinecke ein d-Moll-Finale im Charakter eines Scherzos gegeben, das erst am Schluss zur Ausgangstonart zurückfindet. Auch Nr. 5, das einzige Moll-Werk und sicherlich eine von Reineckes besten Kompositionen, besitzt einen dramaturgisch ausgezeichnet gestalteten Schlusssatz, in welchem sich die nominelle Dur-Tonika erst in der Coda völlig durchsetzt. Nicht alle melodischen Einfälle des Komponisten reißen so unmittelbar mit wie das Eröffnungsthema dieses letzten Quartetts. Seine handwerkliche Begabung versetzt ihn in die Lage, auch aus schlichten Gedanken solide Sätze formen zu können, wobei er jedoch einigen Ideenreichtum an den Tag legt. So bin ich ihm etwa im Kopfsatz von Quartett Nr. 3 gern dabei gefolgt, wie er die kurzen Phrasen in einen gemächlichen, doch sehr bestimmten Schlenderschritt bringt. Lediglich im Finale der Nr. 4 erwischte ich mich wiederholt bei der Überlegung, wie wohl Brahms diese Themenköpfe fortgesetzt hätte – allerdings enthält auch dieser Satz, wie alle Sonatensätze in Reineckes Quartetten, einen starken Durchführungsteil.

Reinecke sagte selbst über sein Schaffen: „Die Zeit mäht rasch die Kunstwerke hin, die nicht gerade einem genialen Schöpfer entstammen, ein solcher bin ich nicht.“ Hat er sich nicht etwas zu stark von den schlechten Rezensionen beeindrucken lassen, mit denen ihn gegen Ende seines Lebens modisch-fortschrittliche „Genialitätsphilister“ (um Rudolf Louis' hübsches Wort zu gebrauchen) verfolgt haben? Die Zeit – wer ist das eigentlich? Sie hat jedenfalls nicht verhindert, dass interessierte Menschen sich um Reineckes Noten gekümmert haben. Sie hat nicht verhindert, dass das Reinhold-Quartett seine sämtlichen Streichquartette in technisch und interpretatorisch hervorragenden Darbietungen auf CD gebracht hat. Und sie hat nicht verhindert, dass ich diese Einspielungen hörte, meine Freude daran hatte, und sie allen an Kammermusik interessierten guten Gewissens empfehle. Im übrigen glaube ich nicht, dass Carl Reinecke für jene Menschen geschrieben hat, die sich gern hinter dem „Urteil der Geschichte“ verstecken.

Norbert Florian Schuck [21.01.2019]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Carl Reinecke
1Streichquarett Nr. 2 F-Dur op. 30 00:21:04
5Streichquartett Nr. 4 D-Dur op. 211 00:20:34
9Streichquartett Nr. 1 Es-Dur op. 16 00:25:39
CD/SACD 2
1Streichquartett Nr. 5 g-Moll op. 287 00:28:55
5Streichquartett Nr. 3 C-Dur op. 132 00:27:09

Interpreten der Einspielung

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