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Besprechung CD

Henri Dutilleux

complete music for piano solo

Piano Classics PCL10167

1 CD • 60min • 2021

24.04.2022

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Für ihr Debütalbum hat die junge italienische, mittlerweile in Köln lebende Pianistin Vittoria Quartararo das gesamte Klavierwerk des großen französischen Komponisten Henri Dutilleux ausgewählt. Dutilleux, vor knapp zehn Jahren nahezu hundertjährig verstorben, gehört zu den faszinierendsten Komponisten seiner Generation, ein moderner Klassiker. Exquisit der stupende Klangsinn seiner reifen Werke, welche die Tradition französischer Musik (nicht nur, aber sicher insbesondere des Impressionismus) auf unverwechselbare Weise weiterführen, weder eindeutig tonal-modal noch völlig atonal (in der Regel fungieren gewisse Töne oder Akkorde als Fixpunkte), oft geprägt durch fein ausgehörte Ornamentik und ein ganz spezielles musikalisches Flirren. Dutilleux’ Œuvre ist schmal, und die Klaviermusik bildet sicherlich keinen Schwerpunkt davon. Man sollte sich also bewusst sein, dass die Werke dieser CD nicht unbedingt einen repräsentativen Überblick über sein Schaffen liefern (wohl aber wird der mit Dutilleux’ Musik vertraute Hörer die Entwicklung des Komponisten nachverfolgen können und immer wieder Parallelen zu seinen größeren Werken finden), und auch die verhältnismäßig breite stilistische Palette der CD bei einem Komponisten, der spätestens seit seinen orchestralen Métaboles (1963) eigentlich über eine ganz unverwechselbare Tonsprache verfügte, ist in diesen Kontext einzuordnen.

Spiele von Schatten, Stille und funkelnden Farben

Dutilleux’ pianistisches Hauptwerk ist seine noch eher frühe Klaviersonate (1946–48), die er selbst als sein erstes vollgültiges Werk ansah; ein Werk in drei Sätzen, das einiges mit der kurz darauf entstandenen Sinfonie Nr. 1 gemeinsam hat. Sicher lassen sich hier noch gewisse Vorbilder erkennen, neben den bereits erwähnten beispielsweise auch Prokofjews Klaviermusik, doch gleich beim Hauptthema des ersten Satzes, eigentlich in fis-moll stehend, entsteht durch die Verwendung der großen Terz in den Begleitfiguren ein eigentümliches Schweben zwischen Dur und Moll, und dieses fließende Moment ist für Dutilleux’ Musik bereits sehr charakteristisch. Quartararo setzt die Sonate an den Schluss ihrer CD, und in der Tat bildet der sehr eindrucksvolle abschließende Variationssatz über einen gravitätischen, Glockenklänge suggerierenden Choral mit seinen wuchtigen, portalhaften Schlussakkorden einen formidablen Abschluss der CD. Klug gewählt ist auch ihr Beginn, denn indem mit den Trois Préludes das am größten angelegte Klavierwerk aus Dutilleux’ späteren Jahren am Anfang steht, fungieren seine beiden wichtigsten Klavierwerke als Rahmen des Albums. Diese drei Präludien, zwischen 1973 und 1988 entstanden, zeichnen die wesentlichen Charakteristika seines reifen Stils exemplarisch nach; als Spiel zwischen Schatten und Stille (Nr. 1) bzw. von Gegensätzen (Nr. 3) oder als stetiges Kreisen um einen einzigen Grundakkord (Nr. 2), dabei wie so oft geprägt vom Kontrast zwischen ruhig-statischen, quasi-meditativen Passagen und plötzlichen erregten und zugleich funkelnden, schillernden Figurationen.

Dutilleux’ stilistische Entwicklung auf Minutenlänge kondensiert

Bei den übrigen Werken handelt es sich um Miniaturen von in der Regel weniger als zwei Minuten Dauer. Zu einem Zyklus zusammengefasst hat der Komponist Au gré des ondes, wohinter sich sechs Stücke aus seiner Zeit beim französischen Rundfunk verbergen, die als Pausenfüller zwischen Übertragungen gedacht waren. Reizende, charmante Miniaturen, die naturgemäß eine große stilistische Bandbreite abdecken (u.a. mit einer still-empfindsamen Bach-Hommage an fünfter Stelle). In den anderen Werken kann man bestimmte Aspekte von Dutilleux’ stilistischer Entwicklung kondensiert verfolgen; die blockhafte Akkordik in den Résonances ruft die Métaboles in Erinnerung, und das 1987 entstandene Mini-prélude en éventail schafft in kaum einer Minute einen kleinen Mikrokosmos von Farbe und Spannung.

Klangsinnlichkeit, Klarheit und Kontraste

Vittoria Quartararo interpretiert diese Werke mit sicherem Gespür für das Wesen der Musik und leuchtet sowohl die Klangsinnlichkeit als auch die Klarheit, die dieser Musik innewohnt, vorzüglich aus. Im Vergleich zu Robert Levins Gesamteinspielung rückt Quartararo die dieser Musik innewohnenden Kontraste stärker in den Vordergrund, während Levin tendenziell etwas zurückgenommener und mit weicherem Anschlag agiert. Etwas konsequenter, stringenter im Nachvollziehen der musikalischen Linie könnte Quartararo allerdings die finale Kulmination im letzten Satz der Sonate gestalten, verglichen etwa mit dem Momentum, das Dutilleux’ Frau Geneviève Joy (der die Sonate gewidmet ist) hier entfaltet. Insgesamt ein sehr gutes, empfehlenswertes Album. Im (leider nur englischsprachigen) Beiheft werden die Werke von der Pianistin selbst kurz eingeordnet und kontextualisiert, hervorzuheben aber auch der Text des Komponisten und Dutilleux-Schülers Claus Kühnl, der auf kaum mehr als einer Seite eine vorzügliche Skizze der wesentlichen Merkmale von Dutilleux’ Tonsprache liefert.

Holger Sambale [24.04.2022]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Henri Dutilleux
1D' ombre et de silence (Prélude) 00:03:04
2Sur un même accord (Prélude) 00:03:49
3Le Jeu des contraires (Prélude) 00:06:55
4Au gré des ondes (6 petites pièces pour piano) 00:12:04
10Mini-prélude en éventail 00:00:57
11Résonances 00:02:18
12Petit air à dormir debout 00:01:10
13Blackbird 00:01:30
14Bergerie 00:01:16
15Tous les chemins mènent...à Rome 00:01:18
16Sonate für Klavier 00:24:53

Interpreten der Einspielung

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