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Besprechung CD

Telos TLS 035

3 CD • 2h 52min • 1999, 2000

01.12.2000

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Die erste Folge einer "langfristig angelegten Igor Shukow-Edition", die seitens telos music records einen "repräsentativen, vom Künstler autorisierten Querschnitt seiner Aktivitäten im Konzertsaal und Tonstudio vorlegen" wird, enthält Brisantes, Nachdenkliches und Nachdenkenswertes in vielerlei Hinsicht. Daß dieses wohl auf Rückschau und auf Bestandsaufnahme einer großzügig gefaßten Gegenwärtigkeit angelegte Projekt mit einer Gesamtaufnahme der Klaviersonaten Scriabins beginnt, mag nur jene Hörer überraschen, denen Shukows leidenschaftliche Eigenwilligkeit, seine geradezu eremitische Beharrlichkeit, aber auch seine flammende Streitbarkeit nicht unmittelbar in Bann gezogen hat (und schon gar nicht ernste Sorgen bereitet hat). Jene aber, die Shukows Weg seit seinem Erfolg beim Marguerite Long-Wettbewerb 1957, seit seinen ersten Konzerten in Würzburg, Köln oder auch beim "Steirischen Herbst" in Graz verfolgt haben und natürlich auch seine ersten Plattenaufnahmen mit Respekt, ja mit Bewunderung zu ihren Schätzen legten – sie dürften eine neuerliche diskographische Auseinandersetzung mit dem zentralen Klaviervermächtnis Scriabins als logische Folge einer lebenslangen Erhitzung notieren. Einer Erhitzung von geradezu testamentarischer Konsequenz und musikphilosophischer "Er-gründlichkeit", die im doppelten Sinne des Wortes ihrer Zeit bedurfte. Zum einen, weil zwischen der seinerzeit fulminant gelobten, für viele Scriabin-Verehrer wegweisenden Melodyia/Eurodisc-Publikation und der in Mechernich-

Roisdorf von Joachim Krist produzierten CD-Version etliche Jahre liegen. Zum anderen, weil Shukow nicht nur der jugendlich-forschen Sonate op. 6 in allen Vorwärtsbewegungen erheblich mehr Erlebenszeit beimißt, sondern auch im Verlauf der folgenden Sonatenkonzeptionen das Flüchtige mit dem Dauerhaften verschwistert – kurzum: der musikalischen Dichte, der Ereignishaftigkeit des Detaillierten im Sinne einer notgedrungen begrenzten Ewigkeit die Aura des Ganzheitlichen, ja des Kosmischen verleiht. In einem bisweilen fast schon rührend emphatischen Essay schildert Shukow seine Beweggründe, öffnet Türen des Verständnisses für eine mit allen Fasern durchlebte Aneignung des Unabwendbaren, des Fremden und im nächsten Moment auch schon Vertrauten. Shukow ordnet seine Beziehung zu Scriabin, ohne diese Bande in einem Akt des bürokratischen Rückblicks zu katalogisieren. Es ist – wenn man seinen geschriebenen Worten lauscht und sein statisch-schwebendes, fliegend-lastendes Spiel zu lesen bereit ist –, als sei diese errungene, auf langen Wegen der Auseinandersetzung gleichsam mit Kopf, Herz und Händen erwanderte Sicherheit die weite Plattform für eine dritte, sich womöglich nur in einer sich selbst verzehrenden Fantasie verwirklichenden Gesamtaufnahme.

So unwiderstehlich Shukows gestalterische Maßgaben aus den Jahren 1999/2000 in ihrer ganzen gleißenden, fahlen, im vordergründigen Pulsieren bis zum heiligen Stillstand gedrosselte Deutungen auch sein mögen, sie befreien von ästhetischen Fesseln, geben den Blick auf Scriabins spirituelle Landschaften und Träume frei. So erlangen die unermeßlichen Kräfte dieser Musik die Qualität von "Schwarzen Löchern": sie verschlingen Materie und bedeuten doch den Beginn von Zukunft.

Unerheblich dünkt es mir, Shukows in die Breite und in die Tiefe lotendes Spiel in all seiner gesprächigen Schweigsamkeit, in all seiner stillen Beredtsamkeit auf die in manchen Sonaten (Nr. 1, 2 – Finale –, Nr. 4 und 5) dem Klischee nach unverzichtbare mechanische Supergewandtheit hin zu untersuchen (so wie mir das zuletzt im Rahmen von Shukows problematischer Denon-Einspielung der Chopin-Sonaten Nr. 2 und 3 unumgänglich schien). So atemberaubend es ist, einem verwegenen Svjatoslav Richter in der himmelwärts strebenden Schlußformel der "Fünften" oder Andrei Gavrilow bei den akkordischen Tumulten im Finale der "Vierten" Gefolgschaft zu leisten, so fiebernd erfährt man auch Shukows gewissermaßen von Wissen und Macht angereicherte Panorama-Erkundungen. Eine reiche Musik braucht ihre Zeit – das lehrte Sergiu Celibidache seine Orchester, wenn er Bruckner probte. Und vieles von Celibidaches milder Unerbittlichkeit bei der Entfaltung des Wesentlichen ist auch Shukow eigen. So mag man die wirklich extrem im Tempo zurückgenommene Aufnahme der Sonate op. 6 als einen vom ersten Ton an unumkehrbaren Prozeß in Richtung des abschließenden "Funèbre"-Satzes bewerten. Keinesfalls als Überhöhung von Müdigkeit und fingertechnischer Larmoyanz.

Peter Cossé † [01.12.2000]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Alexander Scriabin
1Fantasie h-Moll op. 28 – Moderato
2Klaviersonate Nr. 1 f-Moll op. 6
3Klaviersonate Nr. 2 gis-Moll op. 19 (Sonate-Fantasie)
4Klaviersonate Nr. 3 fis-Moll op. 23
5Klaviersonate Nr. 4 Fis-Dur op. 30
6Klaviersonate Nr. 5 Fis-Dur op. 53
7Klaviersonate Nr. 6 op. 62
8Klaviersonate Nr. 7 op. 64 (Weiße Messe)
9Klaviersonate Nr. 8 op. 66
10Klaviersonate Nr. 9 op. 68 (Schwarze Messe)
11Klaviersonate Nr. 10 op. 70

Interpreten der Einspielung

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