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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

Ein Fenster zu...

Felix Mendelssohn-Bartholdy

Hör-Tipps anhand von ausgewählten Werken

Die Ausbildung Felix Mendelssohn Bartholdys liest sich fast wie ein Märchen: Er wächst in einer Intellektuellen-Familie auf, sein Großvater ist der bedeutende Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn, zur musikalischen Begabung kommt Interesse an Poesie, Philosophie, Malerei. Der alte Goethe fördert den frühvollendeten Jugendlichen, der kritische Robert Schumann zählt wie viele andere zu seinen Bewunderern. Es ist der in Deutschland beständig an Zulauf gewinnende Antisemitismus, der die Musik des konvertierten Juden nach seinem Tod in Verruf bringt und in einem totalen Aufführungsverbot in Hitler-Deutschland gipfelt. Mendelssohns Musik mußte wieder entdeckt werden, und noch immer werden Teile seines Œuvres vernachlässigt. Das ist nicht nur ein Erbe des Dritten Reichs: Mendelssohns als klassizistisch empfundene Einstellung bereitete immer wieder stilistische Schwierigkeiten. Verglichen mit der romantischen Phantastik Berlioz’ und Schumanns glaubten manche, konventionstreuen Rückschritt zu erkennen. Aus dem Wunderkind wird in unserem Jahrhundert Das Problem Mendelssohn, wie der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus 1974 ein von ihm herausgegebenes, sicherlich nötiges Buch betitelte. Hier soll ein Einstieg in Mendelssohns Werk gefunden werden, so vorurteilsfrei wie nur möglich.

Werk-Auswahl

Wie kaum ein anderes Werk kann die Ouvertüre zu Shakespeares Sommernachtstraum, die Arbeit des 17jährigen, der fast zwei Jahrzehnte später eine komplette Schauspielmusik (mit dem allgegenwärtigen Hochzeitsmarsch) hinzufügte, als Essenz Mendelssohnscher Musik gelten. Er scheint hier ein Abbild seiner Lektüre der vielschichtigen Shakespeare-Komödie zu geben: die träumerischen Akkorde der Introduktion, die unendlich leise mit zwei Flöten beginnen, kehren als Abschluß wieder, schaffen gleichsam den äußeren Rahmen für das unwirkliche Geschehen. Die flirrende Musik der hohen Streicher identifiziert man wohl auch dann als irrlichternden Feenflug, wenn man die Handlung nicht kennt. Dass diese Elfen in Mollklängen tanzen, nicht in Dur, taucht diese imaginäre Szenerie in dunkle Nacht. Um so strahlender setzt das volle Orchester mit seiner Festmusik ein, das sehnsüchtige, geschmeidig kosende Thema der Violinen verweist auf die Liebeswirrnisse der Handlung, stampfend treten die derben Handwerker auf, und sogar das „I-Ah!“ des zum Esel gemachten Zettel wird ganz realistisch imitiert.Wieweit das gleichwohl von Harmlosigkeit entfernt ist, zeigt die Musik, in die wir eintreten wie in einen sinistren, unheimlichen Wald, in dem seltsame Spukgesichte begegnen: man höre nur das Raunen eines Cello und eines Kontrabasses, die erschreckten Hörner oder die komischen Grabeslaute der Ophikleïde. Doch das Ende ist gut. Etwas erschöpft, aber glücklich sinkt die Melodie der Streicher darnieder. „Wenn wir Schatten Anstoß erregt haben, denkt nur, dass ihr hier geschlummert habt, während diese Visionen Euch erschienen“, sagt Puck im Epilog des Stückes.

Neue Formen

Auch in der Kammermusik zeigt sich Mendelssohn nicht als Nachbeter überkommener Formen: Sein Streichquartett Nr. 2 A-Dur hört sich eher wie ein Drama an, sogar die poetische Idee ist bekanntgegeben. Ein kurzes, aber inniges Lied ist der Partitur vorangestellt: „Ist es wahr? Ist es wahr? dass du stets dort in dem Laubgang an der Weinwand meiner harrst und den Mondschein und die Sternlein auch nach mir befragst?“ Diese verliebte Frage „Ist es wahr?“ hört man in der Einleitung des ersten Satzes, und diese Einleitung beschließt wieder wie ein Rahmen auch das ganze Quartett. Damit kennzeichnet Mendelssohn alle Ereignisse zwischen den Rahmenteilen als Nachdenken über diese Liebesfrage. Erste Zweifel regen sich nämlich schon bald, in der Bratsche. Das folgende Allegro vivace mit seinen seufzenden Figuren (etwa „mit Feuer“ oder „agitato“) spürt erregt bis zur Überhitzung dieser Liebesfrage nach. Auch in die Ruhe des zweiten Satzes fällt Unsicherheit (Bratschenklage) ein, und die Tremoli des Prestos und dem quasi-Sprechgesang der Violine verbreiten opernhafte Stimmung, tragen die Klage sozusagen nach außen. Wird die Frage entschieden, wenn das Eingangs-Adagio im Finalsatz zurückkehrt? Die Musik klingt nicht nach Gewißheit, aber auch nicht nach Resignation; vielleicht erkennt hier das lyrische Ich des Quartetts, dass auch Drängen und Ringen keine Antwort herbeizwingen können – und beruhigt sich.

Es deutet nicht gerade auf eine konservative Einstellung hin, wenn Mendelssohn auch in seinen Konzerten, besonders dem Violinkonzert e-Moll, neue Formen entwickelt. Kein langes Orchestertutti leitet den ersten Satz ein, nur knapp wird eine musikalische Umgebung für den Solisten skizziert, der schon in der sechsten Sekunde mit seinem expressiven, erzählenden Thema in der hohen Lage einsetzt.

Wiederum eher als Erzählung ist dieser Satz konzipiert; nachdem sich der Solist mit Achteltriolen, Doppelgriffen sozusagen in Erregung geredet hat, flaut der rhetorische Sturm ab, es erscheint in den Flöten und Klarinetten ein bukolisches Thema: eine lyrische Episode in der Geschichte des violinistischen Erzählers. Den dramatischen Knoten, der sich knüpft, löst dieser mit seiner Kadenz, die hier nicht nur zur Demonstration von Virtuosität taugt, sondern gleichsam unmerklich zum vorläufigen Ende der Geschichte überleitet. Vorläufig deshalb, weil Mendelssohn die spannungsraubende (und hustenbringende) Pause zwischen den Sätzen vermeidet und mit einem Fagott-Ton zum Andante überleitet.

Pionier der Wiederentdeckung

Ihren Beinamen und die damit verbundene poetische Idee kann man, wenn man will, sogar aus ihrem Hauptmotiv heraushören: „Italien, Italien!“ scheint das strahlende Thema, das die Sinfonie Nr. 4 A-Dur eröffnet, begeistert, fast atemlos, zu rufen. Dieser zündende Gedanke beherrscht den ganzen ersten Teil, von einem kleinen Seitenmotiv der Klarinetten und Fagotte abgesehen, das aber auch Verwandtschaft zu dieser Fanfare hören läßt. Erst in der Durchführung kündigt sich ein zweites, stolzes, ritterlich anmutendes Thema an, rückt näher, wird vom ersten Motiv in den Holzbläsern begrüßt und steht dann in voller Pracht vor uns. In einem spannenden Prozeß setzt sich jedoch das erste Thema wieder durch. Wichtiger noch als die Vorstellung, hier werde ein musikalisches Bild von Italien gegeben, ist vielleicht die Idee des Näherrückens von etwas Fremdem.

Als Pionierfigur des erwachenden musikalischen Historismus hatte Mendelssohn in seiner berühmt gewordenen Wiederaufführung der Matthäus-Passion 1829 die Musik Johann Sebastian Bachs wiederentdeckt. Seine zwei Oratorien Paulus und Elias orientieren sich an der formalen Struktur der Bachschen Passionen mit Chören, Rezitativen und Arien, entwickeln diese jedoch auch weiter: in Richtung Oper. Besonders den Elias, dessen alttestamentarischer Hauptdarsteller noch vor der Ouvertüre mit seiner Dürreprophezeiung auftritt, kann man auch als unmittelbares Bühnengeschehen verfolgen. Im ersten Teil stehen den dramatischen Chören des hungerleidenden Volks seraphische Erscheinungen, wie die des Engels, gegenüber. In dem wunderschönen Doppelquartett singen Frauen- und Männerstimmen die Psalmworte Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, und obwohl die Vertonung mit ihren harmonischen Vorhalten wirklich ans Herz rührt, die Verheißung des hohen Soprans unvergleich süß und schwärmerisch wirkt, wird sie durch das flüssige Tempo von jeder Süßlichkeit ferngehalten. Selbst wenn Mendelssohn Engelsmusik schreibt, gibt er seine latente Erregung und Leidenschaft nicht auf.

Prof. Michael B. Weiß

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