SonArte SP 20
3 CD • 3h 19min • 2001, 2002
11.07.2003
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Bei der Aufführung oder Einspielung einer Sinfonie von Anton Bruckner lautet stets die erste Frage: welche Fassung? Bruckner gehört zu den Komponisten, die zuweilen über Jahrzehnte an ihren Werken feilten und revidierten, Aufführungen in mehreren Versionen hörten und wieder verwarfen oder – im Falle Bruckners nicht zu unterschätzen – die Ratschläge mehr oder minder wohlmeinender Freunde befolgten und auch wieder mißachteten. So gibt es von Bruckners Sinfonien keine „endgültigen“ Versionen, aber auch nicht jene „Urfassungen“, denen man allein Gültigkeit zusprechen könnte. Man muß also mit diesem Dilemma, wenn es denn eines ist, leben – oder den wechselnden Umstände der Sinfonik Bruckners als eigenständige und interessante Variante akzeptieren.
Die vorliegende Einspielung arbeitet diese Problematik nun gleichsam wissenschaftlich auf, indem sie von Bruckners Dritter gleich alle drei Versionen und dazu eine Zwischenform des langsamen Satzes präsentiert. Das ist aufwendig, aber eine einmalige Chance, die Geschichte dieses Werkes plastisch kennenzulernen. Schon allein diese editorische Leistung verdient Anerkennung.
Wer die ausgewogene und gleichsam abgezählte Periodik Bruckners kennt und liebt, wird dies am ehesten in der zweiten Fassung von 1877 finden. Dagegen verblüfft die erste Fassung durch ihre Schroffheit, ihre Brüche, ihre merkwürdigen Zeitflüsse, die manchmal gewalttätig nach vorne stürmen, dann wieder nahezu stehenbleiben und die Energie in langen Generalpausen abklingen lassen. Bruckners erste Hörer haben gerade dies oft nicht verstanden; heute, wo Komponisten viel intensiver noch über das Phänomen der Zeit reflektieren und man sich an die Langsamkeit eines Morton Feldman gewöhnt hat, erscheinen Bruckners Frühversionen und ganz besonders diejenige der Dritten geradezu prophetisch. Demgegenüber macht die fast barbarisch zusammengestrichene dritte Fassung von 1889 den Eindruck einer Art Bruckner-Melange, einer Montage „schöner Stellen“. Diese dreistufige Demonstration einer Werkgeschichte ist gleichwohl höchst bemerkenswert.
Johannes Wildner ist ein erfahrener Bruckner-Dirigent und trifft den „Ton“ der Werke, den Tempofluß, die Brüche wie die eleganten Fortsetzungen mit intuitiver Sicherheit. Und er gestaltet auch die spezifischen Unterschiede der drei Fassungen mit größtem Nachdruck, so daß man nur selten das Gefühl hat „ach ja, kenne ich schon“. Auch die Neue Philharmonie Westfalen, in Recklinghausen stationiert, aber u.a. auch für die Bespielung des Theaters im Revier Gelsenkirchen zuständig, beeindruckt durch eine geschlossene Leistung im oberen Mittelfeld der Orchesterkultur; lediglich hätte man sich bei den Bläsern die Punktierungen, besonders in Tutti-Stellen, noch schärfer akzentuiert gewünscht, und das Blech wirkt durchweg etwas buchstabierend und zählend. Trotz dieser kleinen Einwände eine hochinteressante, auch gut betextete Edition, die Schule machen sollte.
Dr. Hartmut Lück † [11.07.2003]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 d-Moll WAB 103 | |
2 | Adagio (1876, nach Nowak) |
Interpreten der Einspielung
- Neue Philharmonie Westfalen (Orchester)
- Johannes Wildner (Dirigent)