Carl Schuricht
Bruckner
SWRmusic 93.145
1 CD • 69min • 1955
01.02.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der hier veröffentlichte live-Mitschnitt von Bruckners „Romantischer“ Sinfonie (Stuttgart, 5. 4. 1955, mono) folgt der üblichen Fassung von 1887/80 nach dem Text der Bruckner-Gesamtausgabe, herausgegeben von Robert Haas – eine für Bruckner-Liebhaber wichtige Information, die im Beiheft leider fehlt. (Mit der Angabe „Bruckner Verlag GmbH Leipzig“ können nur Forscher etwas anfangen; man würde sich in solchen Detailfragen gründlichere Recherche als nur den Blick in die Produktions-Akten wünschen).
Carl Schuricht war zweifellos einer der großen Bruckner-Pioniere, wie diese Veröffentlichungen der Sinfonien 4, 5 und 7 bis 9 aus den SWR-Archiven belegen. Ähnlich souverän wie Eugen Jochum handhabte Schuricht die monumentalen Partituren mit großer Flexibilität der Tempi und enorm starken Ausdruckskontrasten. Ein interessanter, versachlichender Gegenpol zu diesem Ansatz sind übrigens die ebenfalls im SWR-Archiv befindlichen Studioproduktionen, die zur gleichen Zeit in Baden-Baden Hans Rosbaud aufgenommen hat – es wäre schön, wenn Hänssler Classics auch diese bedeutenden Dokumente veröffentlichen könnte (erhalten sind die Sinfonien 2 bis 9, die man mit einem hinreißenden Mitschnitt der Ersten unter Ernest Bour schön ergänzen könnte). Auch das Stuttgarter Rundfunkorchester kann sich auf eine lange Bruckner-Tradition berufen, die später von Sergiu Celibidache kongenial fortgeführt werden sollte. Bruckner-Fans sind für diese Veröffentlichungen dankbar, die zwar in unterschiedlichen Tonqualitäten seit Jahren auf Raritätenlabels kursieren, nun aber im SWR von Irmgard Bauer und Dietmar Wolf noch einmal remastered worden sind. Leider war der Zustand der Bänder offenbar sehr unterschiedlich und teilweise sehr schlecht; darauf deuten manche kleinen Heuler und Phasenverschiebungen, die sich wohl nicht mehr korrigieren ließen. Umso dankbarer muß man für die Erhaltung dieser Dokumente sein.
Die Interpretation der vierten Sinfonie ist geprägt von besonders starken Tempo-Schwankungen im ersten Satz; Zonen größter Ruhe konstrastieren mit straff genommenen Steigerungen, doch die Coda beginnt erhaben in beeindruckender Weite (Tr. 1, 15’28). Der zweite Satz gleitet aufgrund der sehr langsamen Tempi leider ins Rhapsodische ab; die letzte große Steigerung (Tr. 2, 14’16) und ihr Höhepunkt gleiten geradezu beiläufig vorbei. Das berühmte Jagd-Scherzo ist sehr musikantisch, wirkt aber auch ein bischen ernst. Vielleicht ist das Grundtempo ein wenig zu gemessen, die Phrasierung etwas zu nivellierend. Das Finale erhebt sich würdevoll zu majestätischer Größe, ist aber in den wild-dramatischen Partien (insbesondere des dritten Themas und seiner Durchführung und Reprise) wiederum nicht so feurig, wie man es sich wünschen möchte (z. B. Tr. 4, 6’10).
Dr. Benjamin G. Cohrs [01.02.2005]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104 (Romantische) |
Interpreten der Einspielung
- Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Orchester)
- Carl Schuricht (Dirigent)