Musik und Natur
gutingi gutingi234
1 CD • 70min • 2005
10.04.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
"Also blus das Alphorn heut", schrieb Johannes Brahms am 12. September 1868 auf einer Gruß-Postkarte zum Geburtstag von Clara Schumann. Dazu notierte er das berühmte Alphorn-Thema aus dem Schlußsatz seiner ersten Sinfonie, wie er es am Thunersee vom Stockhorn herab gehört hatte. Als alpenländisches Signalinstrument für Jodelrufe gilt das Alphorn, als ein schweizerisches Nationalinstrument, dessen Geschichte in graue Vorzeiten zurückreicht. Bis heute wird es von folkloristischen Bläsergruppen eifrig gepflegt. In der Gegenwart, seit 1995, hat es jedoch auch in Thüringen dank der Horn- und Tubabläser der Weimarer Staatskapelle eine konzertierende Dependance bekommen. Die vorliegende CD dokumentiert deren umfassendes Leistungsspektrum professioneller Bläserkunst auf diesen überdimensionalen Holztrompeten.
Damit nicht genug – hier wird hier das naturgegebene Standardkolorit des Hörnerklanges durch geschickt eingeflochtene Beiträge mit den einem Blockflötenensemble zum Verwechseln ähnlichen Gemshorntönen aufgelockert. Alle Instrumente, von den maximal 4,30 Meter langen, bis zu 12 Kilogramm schweren Alphörnern – vier an der Anzahl – und den aus Rinderhorn geschnittenen, kurzen Gemshörnern vom Sopranino bis zum Baß, sind im Eigenbau gefertigt und werden von ihren Meisterbläser-Bastlern entsprechend souverän beherrscht. Individuell ist auch die Stücke-Auswahl aus alter und neuester Zeit. Dabei fallen insbesonders einige der modernen Kompositionen aus dem gewohnten Alphorn-Rahmen mit der Beschränkung auf die harmonisierenden Dreiklangs-Naturtöne und ihre Jodelmotiven. Unterschiedliche Längen der Blasrohre mit ihren je verschiedenen Grund- und Teiltönen erweitern das Tonmaterial und ermöglichen ergänzende Akkord-Modulationen, bei Bedarf auch heftig dissonierende Reibeklänge.
Im Kontext der üblichen Alpenecho-Effekte und stimmungsvollen Waldhorn-Romantik tönt dann manchmal schon sehr befremdlich eine „Avantgarde-Harmonik“ aus den Naturinstrumenten: Die überraschende Stilmischung ist beabsichtigt. Vor allem der „Senior“ Manfred Schlenker (Jg. 1926) unter den hier zu hörenden Alphorn-Komponisten entfernt sich mit seiner programmatischen Klangstudie Der Tag des Waldes am weitesten von allem, was bisher Waldesrauschen, Blitz, Donner und frohe, dankbare Gefühle nach dem Sturm musikalisch zu umschreiben versucht hat. Provokant klingt bei dem Beitrag des Weimarer Kompositionslehrers Professor Wolf Günter Leidel (Jg. 1947) nicht nur der aufmüpfige Werktitel Entraduction quasi-fanfarique (anstelle von „Introduction quasi-fantastique“), sondern verstört ganz bewußt mit unerwartet „falschen“ Tönen und aus dem Zusammenhang heraus kaum erklärlichen Kakophonien. Ausgerechnet der Benjamin der hier zu hörenden Zeitgenossen und zugleich virtuose Mitbläser Stephan Katte (Jg. 1972) setzt die Naturtöne der unterschiedlich gestimmten Alphörner – durch konventionelle Orchesterhörner bis zu neun Stimmen erweitert – und ein Gemshornquartett materialgerecht ein und löst damit ideenreiche Zusammenklänge, Rhythmus, Schwung und, ja, Vergnügen beim Zuhören aus. Insgesamt setzen damit die stilistischen Kontraste, der Farbenreichtum und die bläserisch-virtuose Vielfalt der Werkwiedergabe auf dieser sorgfältig produzierten CD für das Alphornblasen durchaus neue, bemerkenswerte Akzente.
Dr. Gerhard Pätzig [10.04.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anon. | ||
1 | Intrada | |
Jiri Ignac Linek | ||
2 | Zwei Krönungsfanfaren | |
Manfred Schlenker | ||
3 | Der Tag des Waldes für vier Alphörner | |
Stephan Katte | ||
4 | Introduktion und Zwiebelpolka für sechs Alphornisten und sieben Alphörner | |
Wolf Günter Leidel | ||
5 | Entraduction quasi-fanfarique op. 46 Nr. 17 | |
Stephan Katte | ||
6 | Bergstimmungen für neun Alphörner | |
Tylman Susato | ||
7 | Partita für vier Gemshörner | |
Georg Friedrich Händel | ||
8 | Festlicher Ruf | |
Johann Ernst Altenburg | ||
9 | Aus meines Herzens Grunde | |
Anon. | ||
10 | Drei Intraden aus dem Augustinerchorherrenstift Weyarn | |
Paul Peuerl | ||
11 | Partita für vier Gemshörner | |
Lukas Schmid | ||
12 | Westschweizer Choral | |
Walter Klaus | ||
13 | Alphorn-Echo | |
Urs Vierlinger | ||
14 | Abendruhe | |
15 | Bergnacht | |
Stephan Katte | ||
16 | Spielzeug für vier Gemshörner |
Interpreten der Einspielung
- Alphornensemble Weimar (Ensemble)