Invitation au voyage
harmonia mundi HMC 901875
1 CD • 70min • 2004
14.07.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Bei den ersten Takten von Ralph Vaughan Williams’ Zyklus Songs of Travel, dem beharrlich fortschreitenden sempre-pesante-Motiv im Bass, fühlt man sich an das vielleicht berühmteste Lied zum Thema „Reise“ erinnert, an den ersten Titel von Franz Schuberts Winterreise: Fremd bin ich eingezogen. Doch der Wanderer des schottischen Dichters Robert Louis Stevenson, von dem Vaughan Williams neun Gedichte ausgewählt und vertont hat, teilt nicht das tragische Schicksal von Schuberts Winterreisendem. Für ihn ist die Wanderschaft keine Folge von Stationen der Verzweiflung, sondern er folgt seiner Abenteuerlust, genießt die Natur und das unabhängige freie Leben und findet am Ende Erfüllung durch seine Kunst als Dichter und Musiker. Auch Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen erinnern an Schuberts Winterreise; auch hier hat der Wanderer nur einen Gesprächspartner, eine einzige Vertraute – die Natur, allerdings die einer anderen Jahreszeit, des Frühlings. Schuberts und Mahlers einsamen Wanderer eint auch das Gefühl des Ausgestoßen-Seins mit der Konsequenz des Abschieds von der Welt.
Formal ganz anders sind die rezitativisch spröd gehaltenen Petrarca-Vertonungen von Ildebrando Pizzetti mit ihrer statisch verharrenden Klavierbegleitung. Es sind reine Gedankenreisen, die der Ich-Erzähler unternimmt, Selbstgespräche über Lebenssinn und Liebesverzweiflung. Mit Schubert und Mahler teilen diese Monologe den schwarzen Trauerrand aus Hoffnungslosigkeit, Wehmut und Todesnähe. Auch Henri Duparcs L’invitation au voyage fordert lediglich zu einer Reise in ein imaginäres Land auf, alles ist hier Illusion und Traum. Noch deutlicher führt La vague et la cloche in die Gefilde von Fiktion und Vision, die sich schließlich zum Alptraum verdichten, zu einer tief pessimistischen Metapher für die Mühen und Plagen des Daseins. Ähnlich aussichts- und trostlos wirkt der Lebensweg des Erzählers in Le manoir de Rosemonde. Während Phidylé eine in eine Naturbetrachtung gekleidete Liebeserklärung ist, verbinden Extase und Soupir Liebes- und Todessehnsucht. Dass diese vier musikalischen Reisevarianten zum spannenden Hörerlebnis werden, ist in erster Linie den erzählerischen Qualitäten des Baritons Dietrich Henschel zu verdanken, die durch Friedrich Schwinghammers stets präsente und sensible Begleitung gleichwertig gespiegelt werden. Im Reichtum des Gestaltens, der Vielfalt des Nuancierens, Färbens, Abtönens liegen Henschels herausragende Fähigkeiten als Liedinterpret. Nie nimmt er dabei die Rolle des selbst Betroffenen ein, der aus eigener freud- und leidvoller Erfahrung berichtet, sondern findet eine wohlausgewogene Balance aus emotionalem Engagement und Involviertheit einerseits und der Position eines zurückhaltenden Beobachters andererseits. Zugute kommen ihm dabei seine exzellenten gesangstechnischen Fähigkeiten, vor allem seine berückend zarte und fein ansprechende Mezzavoce, seine leichte Höhe auch im piano und pianissimo.
Walter Fritz † [14.07.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Ralph Vaughan Williams | ||
1 | Songs of Travel (1901/1904) | |
Gustav Mahler | ||
2 | Lieder eines fahrenden Gesellen | |
Ildebrando Pizzetti | ||
3 | La vita fugge e non s'arresta un'ora | |
4 | Quel rosigniuol che sì soave piagne | |
5 | Levommi il mio pensier in parte ov'era | |
Henri Duparc | ||
6 | L' invitation au voyage | |
7 | La vague et la cloche | |
8 | Extase | |
9 | Phidylé | |
10 | Le manoir de Rosemonde | |
11 | Soupir |
Interpreten der Einspielung
- Dietrich Henschel (Bariton)
- Fritz Schwinghammer (Klavier)