cpo 777 105-2
1 CD • 73min • 2004
17.04.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Der Komponist Carl Reinecke verdient eine Wiedergutmachung. Die Vernachlässigung eines Großteils seines Œuvres ist ebensowenig gerechtfertigt wie die Gewohnheit, ihn immer an dem fast zehn Jahre jüngeren Johannes Brahms zu messen. Gewiss, Reinecke war weder ein Neuerer noch ein einsames Genie – er widmete sein Leben der Weitergabe der klassischen Tradition, wobei er als Gewandhauskapellmeister (mit einer Fülle von administrativen Aufgaben), konzertierender Pianist, Professor am Leipziger Konservatorium und überaus produktiver Komponist ein erstaunliches Arbeitspensum absolvierte.
Als Komponist verstand sich Reinecke als Romantiker und knüpfte – wie gerade in der 1858 uraufgeführten, hier in der revidierten Fassung von 1863 eingespielten ersten Sinfonie deutlich spürbar ist – bei Schumann und Mendelssohn an. Klare formale Anlage, leicht fassliche Themen und wirkungsvolle Orchestrierung weisen den Könner aus, der sein Handwerk bestens beherrschte. Besonders vermag das Scherzo mit seinem stimmungsvollen Trio zu faszinieren, das allein schon die Wiederentdeckung lohnt.
Mehr noch als bei der Sinfonie handelt es sich bei dem 1876 vom Widmungsträger Joseph Joachim zur Uraufführung gebrachten Violinkonzert um ein ausgereiftes, eigenständiges Werk von großer Attraktivität. Nicht akrobatische Zurschaustellung, sondern ausdrucksvolle Lyrik prägt über weite Strecken das musikalische Geschehen, das nicht durch grobe Effekte, sondern durch eine Fülle von originellen Wendungen und delikaten Manövern seinen besonderen Reiz entfaltet.
Dass das dankbare Konzert nach gut hundert Jahren der Vergessenheit hier zu neuem Leben erweckt wird, ist das besondere Verdienst dieser Veröffentlichung. Auch die in Form eines dreiteiligen Konzertstücks angelegte, etwas nordisch angehauchte Romanze op. 155 ist ein ansprechendes Werk, das in seinem Presto-Abschnitt auch virtuose Züge trägt. Bei der e-Moll-Romanze handelt es sich um das Zwischenspiel zum vierten Akt aus Reineckes Oper König Manfred, die ohne Frage ebenfalls eine Wiederentdeckung wert wäre.
Für die drei Werke mit Solo-Violine, die bei einem Konzert im Berner Kultur-Casino live aufgezeichnet wurden, ist Ingolf Turban der ideale Interpret. Mit warmem, sensibel modifiziertem Ton und kluger, ausdrucksvoller Gestaltung bietet er ein Plädoyer für den Komponisten Reinecke, wie man es sich überzeugender nicht vorstellen könnte. Auch das Orchester unter Johannes Moesus nimmt seine Sache ernst und lässt keine Zweifel an der Qualität dieser Musik aufkommen. Last not least sind die Aufnahmen des Schweizer Radios klanglich ausgezeichnet geraten, so dass (im Gegensatz zu anderen Produktionen, die sich nur auf den Ersteinspielungs-Bonus verlassen) hier einmal rundum alles stimmt. Eine gelungene Katalogbereicherung.
Sixtus König † † [17.04.2007]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Carl Reinecke | ||
1 | Sinfonie Nr. 1 A-Dur op. 79 | |
2 | Violinkonzert g-Moll op. 141 | |
3 | Romanze a-Moll op. 155 für Violine und Orchester | |
4 | Romanze e-Moll op. 93 für Violine und Orchester (Vorspiel zum vierten Akt aus der Oper König Manfred) |
Interpreten der Einspielung
- Ingolf Turban (Violine)
- Berner Symphonie-Orchester (Orchester)
- Johannes Moesus (Dirigent)