Joseph Haydn
Die Londoner Sinfonien
SWRmusic 93.252
4 CD • 4h 57min • 2009
07.12.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Kurz vor Ende des Haydn-Jahres meldet sich Sir Roger Norrington mit einem gewichtigen Paket zu Wort: den zwölf sogenannten „Londoner Sinfonien“ (Nr. 93–104), die Haydn im Zuge seiner beiden London-Aufenthalte in den Jahren 1791/92 und 1794/95 für den Geiger und Impresario Johann Peter Salomon komponierte – Abschluss und Krönung seines gesamten sinfonischen Schaffens. Bei der Neuveröffentlichung handelt es sich um eine echte Blitz-Produktion, denn die insgesamt 48 Sätze wurden erst im September 2009 innerhalb von sechs Tagen in der Stuttgarter Liederhalle live aufgenommen. Die Sinfonien erscheinen auf den vier CDs nicht entsprechend ihrer Nummerierung oder der Chronologie ihrer Uraufführungen, sondern in einer durchaus reizvollen eigenen Anordnung, die für jede CD eines der berühmte Werke mit Beinamen (Sinfonie mit dem Paukenschlag, The Miracle, Militär-Sinfonie, Die Uhr, Sinfonie mit dem Paukenwirbel und Salomon) bereithält, aber auch zweimal nicht ganz glücklich Sinfonien der gleichen Tonart aufeinander folgen lässt. Betreut wurden die Aufnahmen von zwei unterschiedlichen Teams, was einen feinen, aber charakteristischen Unterschied im Klangeindruck bedingt.
Auch wer sich nicht zu den Fans von Sir Roger Norrington rechnet, kann an dieser Produktion Gefallen finden. Bei der kleingliedrigen Musik Haydns kommen die Defizite der historisierenden Spielweise weitaus weniger zum Tragen als bei den Sinfonien Bruckners und Mahlers. Zudem erscheint das Klangbild hier meist ausgewogener als in anderen Norrington-Aufnahmen. Nur gelegentlich drängt sich das Blech (in den vom Team Wolf/Trumpp betreuten Aufnahmen) ungebührlich röhrend in den Vordergrund und deckt das Geschehen in den anderen Stimmen zu.
Grundsätzlich bestechen die Aufnahmen durch energiegeladenes, frisches und lebendiges Musizieren. Die Individualität, mit der Haydn innerhalb des viersätzigen Schemas jede Sinfonie, jeden einzelnen Satz unverwechselbar ausstattet, wird treffend dargestellt. Die gründliche Beachtung aller Vortragsbezeichnungen und die sorgfältig ausgearbeitete Artikulation machen rundum Freude. Was die Tempi angeht, gelingen Norrington die schnelleren Sätze am überzeugendsten. Vor allem die Presto-Finalsätze kommen brillant, locker und federnd. Ebenso gut erfasst sind mehrheitlich die in ihrem Wesen so verschiedenartigen Menuette, besonders gelungen jene der Sinfonien Nr. 97 und Nr. 101 mit ihrer ganz eigentümlichen Note.
Dass Sir Rogers Gang (Andante) immer eilig ist, mag physiologische Gründe haben. Wenn aber das Andante der Sinfonie mit dem Paukenschlag oder der Salomon-Sinfonie zu einem hastig trippelnden Allegretto oder das Adagio ma non troppo aus Nr. 97 zu einem strammen Marsch wird, dann ist der intendierte Charakter verfehlt. Auch ein wirkliches Largo scheint in Norringtons Kosmos nicht zu existieren. Einzig das einleitende Adagio der Salomon-Sinfonie hat die gebotene Ruhe und erzielt auch eine entsprechend großartige Wirkung.
Kleine Eigenmächtigkeiten, die Norrington zur Steigerung des Effekts einbringt – crescendo, subito piano, Überbindung, Einsatz von Solostreichern etc. – hätte Haydn ihm gewiss ebenso wenig verübelt wie dem Orchester vereinzelte Mängel im Zusammenspiel, die den Live-Charakter unterstreichen. Da wäre schon eher die etwas durchgehende Betonung der schweren Taktzeiten im forte oder der übertrieben martialische Lärm in Nr. 102 zu kritisieren... Ob einem bei wiederholtem Hören die aufbrandenden Beifallsbezeugungen nicht auf die Nerven gehen, mag jeder für sich entscheiden. Doch nach dem brillanten Finale von Nr. 104 (bei dem man sich allerdings wieder fragen kann, ob Haydns Bezeichnung „spiritoso“ = geistreich unbedingt auf größtmögliche Lärmentfaltung abzielt) mag man gerne das mit einem ebenso umfangreichen wie gehaltvollen Essay ausgestattete Booklet zur Seite legen, in den Applaus mit einstimmen und dieser Veröffentlichung auch noch ein Stück vom Jubiläums-Kuchen gönnen.
Sixtus König † † [07.12.2009]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Joseph Haydn | ||
1 | Sinfonie Nr. 93 D-Dur Hob. I:93 | |
2 | Sinfonie Nr. 97 C-Dur Hob. I.97 | |
3 | Sinfonie Nr. 101 D-Dur Hob. I:101 (Die Uhr) | |
5 | Sinfonie Nr. 94 G-Dur Hob. I:94 (Mit dem Paukenschlag) | |
6 | Sinfonie Nr. 98 B-Dur Hob. I:98 | |
7 | Sinfonie Nr. 102 B-Dur Hob. I:102 | |
8 | Sinfonie Nr. 95 c-Moll Hob. I:95 | |
9 | Sinfonie Nr. 100 G-Dur Hob. I:100 | |
10 | Sinfonie Nr. 103 Es-Dur Hob. I:103 (Mit dem Paukenwirbel) | |
11 | Sinfonie Nr. 96 D-Dur Hob. I:96 (Le Miracle) | |
12 | Sinfonie Nr. 99 Es-Dur Hob. I:99 | |
13 | Sinfonie Nr. 104 D-Dur Hob. I:104 (Mit dem Dudelsack) |
Interpreten der Einspielung
- Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Orchester)
- Sir Roger Norrington (Dirigent)