Mieczyslaw Weinberg Works for Violin & Piano Vol. 1
cpo 777 456-2
1 CD • 57min • 2007
18.11.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Über dreißig Violinsonaten sind von dem aus Warschau gebürtigen, ab 1943 dann aber bis zu seinem Tod 1996 in Russland wirkenden Mieczyslaw Weinberg überliefert. Mit der hier vorgelegten Auswahl der 4. und 5. Sonate von 1947 bzw. 1953 und den Stücken von 1934/35 ist dem Duo Kirpal eine sehr sinnfällige Auswahl geglückt, zeigen sie doch einen Prozeß im Komponieren Weinbergs, der über eine stetige Reduzierung und Vereinfachung der Mittel in eine für die moderne geradezu anachronistische Bildhaftigkeit führt. Das bedeutendste Werk dieser Edition ist die 5. Sonate g-Moll von 1953, dem langjährigen Freund Dmitri Schostakowitsch gewidmet, der Weinberg nach eigener Einschätzung derart beeinflußt haben soll, daß er sich zeit seines Lebens als dessen legitimer Schüler sah. Die ästhetischen Haltungen sind sicherlich vergleichbar, gerade in der Präferenz einer ganz intakten, freilich aufgrund der häufig modalen Tonverhältnisse archaisierend verfremdeten Tonalität; bei Weinberg scheint jedoch die modale oder dur-moll-tonikale Harmonik weitaus weniger verschlossen zu sein, sie schottet sich weniger selbstgenügsam ab und kommt dadurch zu größerer Sprachfähigkeit.
Die fünfte Sonate malt ein inniges, sehr plastisches und lebendiges Bild einer geradezu kindlich naiven Trauer aus, die gleichsam noch viel stärker bei sich ist als die der vierten Sonate, weil sie auf noch stärker vereinfachte Strukturen setzt: Ostinati, rhythmische Regelmäßigkeit, volkstümliche Melodien, gleichzeitig aber auch geradezu sprechende Situationen von großer Farbigkeit. Sie zeichnet die magische Atmosphäre einer künstlichen Ballettwelt oder sogar eines Puppenspiels, ohne an irgendeiner Stelle mechanistisch zu wirken; das Allegro molto hat vielmehr geradezu holzschnittartige Kraft.
Etwas weniger kontrolliert, stärker rhapsodisch, in den Ecksätzen geradezu meditierend nimmt sich die vierten Sonate aus, wiewohl Weinberg hier den freieren Charakter der Musik durch eine formal höchst interessante Symmetrie bändigt: In den Ecksätzen spielen zunächst das Klavier, dann im Finale die Violine längere Passagen solo und sind gleichsam auf sich allein gestellt, bevor – und nachdem – sie sich in der Mittelsektion zum gemeinsamen Musizieren getroffen haben. Die Konstruktion der formalen Anlage wird gefüllt durch sehr nachdenkliche, gleichsam tastende Passagen der solistisch geführten Instrumente. Weinberg komponiert absichtlich keine virtuose Musik, sondern eine auf höchstem Niveau gleichsam improvisierende Introspektion, wiewohl durchaus beeindruckend einzelne Höhepunkte angesteuert oder sogar genau dosiert rohe Elemente wie etwa die bewußt ordinären Fanfaren des zweiten Satzes Allegro ma non troppo eingesetzt werden. Wie sehr Weinberg seine Mittel reduzierte, wird erst offenbar, wenn man die drei Charakterstücke aus den 30er Jahren hört, sinnigerweise an den Schluß der Aufnahme gestellt: Weinberg hat einen Weg zu immer größerer Einfachheit durchgemacht.
Eine solche Musik muß tief empfunden werden, und Stefan und Andreas Kirpal lauschen den fahlen und den bunten Klängen Weinbergs tatsächlich mit größter Konzentration nach. Beide finden, ohne daß man Klischees von geschwisterlicher Übereinstimmung bemühen müßte, zu einer echten klanglichen Geschlossenheit, weil beide tendenziell eher weich intonieren (man höre etwa die wunderbaren Doppelgriffe Stefans in der fünften Sonate oder die zauberischen hohen Register in den „Drei Stücken“), mit viel Ruhe, aber auch zupackend, geschmackvoll und immer feinsinnig. Am Klavier agiert Andreas Kirpal mit sehr rundem Anschlag, er wird auch in emotionalen Höhen nie hart oder spitz; das angenehm voluminöse und leicht hallige Klangbild unterstützt beider Klangästhetik. Diese Werke sind eine echte Entdeckung, die dem Komponieren der Schostakowitsch-Zeit neue Facetten hinzufügt; hoffentlich nehmen Stefan und Andreas Kirpal bald weitere Weinberg-Werke auf – sollten sie und die Firma Atem genug für eine vollständige Retrospektive der fast dreißig Sonaten Weinbergs haben, sie könnten eine echte Lücke im Katalog schließen.
Prof. Michael B. Weiß [18.11.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Mieczyslaw Weinberg | ||
1 | Sonate Nr. 4 op. 39 für Violine und Klavier (L.B. Kogan gewidmet) | 00:19:58 |
4 | Sonate Nr. 5 g-Moll op. 53 für Violine und Klavier (D. Schostakowitsch gewidmet) | 00:22:59 |
8 | Nokturn für Violine und Klavier – Moderato | 00:06:10 |
9 | Scherzo für Violine und Klavier – Allegro | 00:02:02 |
10 | Sen a lalce für Violine und Klavier – Moderato | 00:05:01 |
Interpreten der Einspielung
- Stefan Kirpal (Violine)
- Andreas Kirpal (Klavier)