hänssler CLASSIC 98.577
1 CD • 63min • 2009
25.11.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Rein äußerlich ist Mendelssohns „Lobgesang“ zwar der neunten Sinfonie Beethovens verwandt: Beide mehrsätzigen Werke münden in einen monumentalen Chorjubel. Mißt man jedoch die interne Verlaufskurve ab, so stellt Mendelssohns „Lobgesang“ vor andere Probleme: Im Gegensatz zu Beethovens Sinfonie haben diejenigen drei Sätze, die dem Chorfinale vorausgehen, sehr geringes Gewicht, und zwar sowohl in Bezug auf ihre zeitliche Ausdehnung wie auch ihre motivische Ausgreifung. Diese radikale Verschiebung, die Mendelssohn nicht einfach unterlaufen sein kann, sondern sicherlich Teil der intentionalen Anlage des ehrgeizigen Werkes war, stellt die Interpretationen vor Probleme: Jede Deutung, welche versucht, besonders dem Kopfsatz und dem Adagio konventionelle Bedeutungsschwere zukommen zu lassen, arbeitet eher den bewußt marginalen Charakter dieser Sätze heraus, welche damit eigentümlich dünn erscheinen.
Genau dieses Problem löst Thomas Fey in dieser Einspielung mit dem Deutschen Kammerchor und den Heidelberger Sinfonikern, welche auf einen inspirierten Konzertabend zurückgeht. Bei Fey haben die reinen Instrumentalsätze sehr geringes Gewicht: Die Maestoso-Einleitung des Kopfsatzes wird betont beiläufig genommen (leider klingen die Posaunen zu Beginn etwas zu schmissig und leicht unsauber), die scharfen Punktierungen, leicht „überpunktiert“ genommen, erinnern eher an den früheren Händel als an das spätere Grave Bruckners, was die neobarocken Strömungen in Mendelssohns Musiksprache sehr deutlich zur Geltung kommen läßt. Auch die beiden Mittelsätze streichen sehr lebhaft vorüber, so dass die drei Abteilungen vor dem Finale tatsächlich hier den Typus bloßer Präludien verliehen bekommen.
Das Finale selbst akzentuiert in Feys Darstellung die zweiflerischen und dunklen Aspekte des Textes, nimmt also die „Nacht“, welche erst durchstanden werden muß, bevor das Licht ausbricht, sehr ernst. Immer wieder wird der ohnehin schon nicht sehr edle, eher sehnige und spaltige Klang der historisierenden Instrumente zusätzlich aufgebrochen, wenn etwa die Hörner betont häßlich gestopft werden. Das „Ich harrete des Herrn“ etwa wird mit äußerst scharf akzentuierten Holzbläsern und drahtigen Streichern wirklich zu einer existentiellen Unsicherheitserfahrung gemacht: Krasse Aufrauhung ersetzt romantisches Sfumato. Besonders Markus Schäfer, der Sänger der tragenden Tenorpartie, paßt perfekt in dieses höchst affektive Mendelssohn-Bild hinein: Ihm ist eine nüchterne Dramatik eigen, die nicht nur stimmlich – natürlich bei völliger stilistischer Eigenständigkeit – an Ernst Haefliger erinnert; wohl aber hat Schäfer eine weitaus enger geführte, zugespitzte, gleichsam schlagkräftigere Höhe. Ähnlich intensiv singen die beiden Sopranistinnen Eleonore Marguerre und Ulrika Strömstedt.
Es sind dann erst die Kulminationspunkte des Werkes, welche die Grenzen von Feys gewichtsreduzierter Darstellung aufzeigen: wenn die Nacht in die Helle des Chorals mündet, und der Chor an dieser Passage etwas schwachbrüstig klingt; oder in der Schlußentwicklung, wenn der Streicherkörper auch einmal kompakt erscheinen müßte, eine eigene Macht darstellen, nicht nur eine luftige Begleitung. Auch der Schlußpunkt, der Finalakkord, klingt – wohl hier eher gegen Mendelssohns Intentionen – eher nüchtern. Bei Fey wird er zum Signum eines Jubelwerkes, das sich in Bescheidenheit versucht, aber auch den seltsamen Eindruck erweckt, auf halbem Wege stehengeblieben zu sein.
Prof. Michael B. Weiß [25.11.2009]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 B-Dur op. 52 (Lobgesang) |
Interpreten der Einspielung
- Eleonore Marguerre (Sopran)
- Ulrika Strömstedt (Mezzosopran)
- Markus Schäfer (Tenor)
- Deutscher Kammerchor Bremen (Chor)
- Thomas Fey (Dirigent)