OehmsClassics OC 926
4 CD • 3h 49min • 2008
02.12.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wird nicht immer wieder behauptet, dass es in unserer Zeit keine Wagner-Tenöre mehr gäbe, zumindest keine, die sich mit historischen Vorbildern messen ließen? Schlagkräftiger Gegenbeweis: der aus Australien stammende Heldentenor Stuart Skelton, dessen Prachtleistung als Siegmund gleichberechtigt neben höchsten und allerhöchsten Vorbildern steht. Markige, in allen Lagen perfekt funktionierende, metallreiche Stimme, makellose Aussprache, mitreißender Vortrag. Was bleibt da noch zu wünschen? Solche Wälserufe voll Wucht und Leuchtkraft hat man schon seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr vernommen. Eine Stimme, in der es nichts Verfettetes oder Verquollenes gibt, die wie das Schwert Nothung blitzt und strahlt. Großartig und bewundernswert!
Überhaupt stellt diese Walküren-Wiedergabe durch die Hamburger Staatsoper (Oktober 2008) dem Status des heutigen Wagner-Gesanges kein schlechtes Zeugnis aus. Yvonne Naef gibt eine intensive, gefühlsreiche Sieglinde. Es läßt sich allerdings nicht überhören, dass das Organ der Sängerin eigentlich dem Mezzofach angehört. Die Höhenlage gelingt nur mit Anstrengung. Deborah Polaski (Brünnhilde) und Falk Struckmann (Wotan) zählen schon lang zu unseren Wagner-Konstanten, und selbst wenn die Stimmen in einzelnen Momenten angegriffen klingen, so kommen doch starke, packende Darbietungen zustande, beide leben und fühlen mit ihren Rollen. Deborah Polaski hat ihre eindringlichsten Augenblicke in der Todesverkündigung, Struckmann die seinen in der großen Abschiedsszene des dritten Aktes. Gute, zumindest befriedigende Besetzungen für die weiteren Partien, auch wenn Mikhail Petrenko als Hunding nicht das übliche urige Baßgepolter vernehmen läßt, sondern der Figur eine jugendliche, beinahe elegante Salon-Aura verleiht.
Simone Young leitet die Aufführung mit Behendigkeit und hellwacher Aufmerksamkeit, führt das großartige Orchester immer wieder zu mächtigen Aufschwüngen, nimmt aber auch auf die Möglichkeiten der Singstimmen Rücksicht. Es ist eine ziemlich „schnelle“ Walküre, doch auch die „getragenen“, pathetischen Momente gelangen zu hingebungsvoller Darstellung. Somit eine Aufnahme von bester musikalischer Qualität.
Dieser positive Eindruck stimmt freilich kaum mit den meisten Urteilen überein, die 2008 über die Hamburger Premiere verbreitet wurden. Da war von Unsicherheiten im Orchester die Rede, vom Zudecken der Stimmen und schwankenden Sängerleistungen. Das Regiekonzept von Claus Guth stieß bei Kritik und Publikum fast einhellig auf Ablehnung, da konnte es schon passieren, dass sich der negative Eindruck auf die gesamte Produktion erstreckte. Rein als akustisches Erlebnis betrachtet ist die Wiedergabe ohne Tadel, die von der Kritik angekreideten Mängel sind jedenfalls nicht zu bemerken.
Sicher, solche Hervorbringungen wie der Hamburger Ring sollten eigentlich ein musikalisch-szenisches Ganzes sein. Und dennoch bringt das bloße Zuhören auch einen Vorteil: man bleibt von Inszenierungs-Extravaganzen unbehelligt und kann sich selbst die Bilder dazu erfinden. Seit jeher imaginieren sich die „Heimhörer“ vor ihren Boxen oder mit Kopfhörern auf den Ohren die prachtvollsten Inszenierungen, wahrscheinlich viel schönere und ideenreichere als die professionellen, auf profane Nüchternheit eingeschworenen Theatermacher dies zustande bringen. Ein nicht zu unterschätzendes geistig anregendes Phänomen. Die Hamburger Walküre eignet sich vorzüglich für eine solche Phantasiereise.
Klanglich ist die Live-Aufnahme, die im Zuge der ersten Aufführungsserie entstanden ist, gut ausgewogen. Stimmen, Orchester, alles stets von starker Präsenz. Dass es bei einer Regie von so extremem Charakter viele Bühnengerääusche gibt, wird man kaum beanstanden können.
Etwas anderes: im Oktober 2008 dürften viele Hamburger Opernbesucher von Bronchitis befallen gewesen sein. Oder ist es bloß der Raucherhusten, der die unerwünschte „Begleitmusik“ zu vielen Pianostellen beisteuert?
Clemens Höslinger [02.12.2009]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Richard Wagner | ||
1 | Die Walküre |
Interpreten der Einspielung
- Stuart Skelton (Siegmund - Tenor)
- Mikhail Petrenko (Hunding - Baß)
- Falk Struckmann (Wotan - Baß)
- Yvonne Naef (Sieglinde - Sopran)
- Deborah Polaski (Brünnhilde - Sopran)
- Jeanne Piland (Fricka - Mezzosopran)
- Miriam Gordon-Stewart (Helmwige - Sopran)
- Helen Kwon (Gerhilde - Sopran)
- Gabriele Rossmanith (Ortlinde - Sopran)
- Maria-Cristina Damian (Waltraute - Sopran)
- Katja Pieweck (Siegrune - Mezzosopran)
- Renate Singler (Roßweiße - Mezzosopran)
- Ann-Beth Solvang (Grimgerde - Alt)
- Deborah Humble (Schwertleite - Alt)
- Philharmoniker Hamburg (Orchester)
- Simone Young (Dirigent)