timpani 1C1166
1 CD • 71min • 2009
18.03.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Hier ergibt sich die Gelegenheit, französische Musik an der Schwelle zur Moderne kennenzulernen, die gleichzeitig von höchster Qualität ist und so gut wie unbekannt. Jean Huré (1877 – 1930) wirkte, auf weitläufigen Reisen durch Europa, zunächst vor allem als Organist und Konzertpianist, bevor er sich in Paris niederließ und dort noch vor dem Ersten Weltkrieg eine Ecole normale de Musique und eine Société Mozart gründete; als Lehrer am Conservatoire, wo unter anderem Manuel Rosenthal zu seinen Schülern zählte, veröffentlichte er neben einem kleinen kompositorischen Œuvre für fast alle Gattungen auch einige Traktate zu Technik und Ästhetik des Klaviers und der Orgel (sein Kollege Maurice Emmanuel bezeichnete ihn als „Monster der Wissenschaft“, den es aber in deutlicher Sympathie zu umarmen gelte). In den Lexika wird seine Affinität zur Moderne hervorgehoben, die er durch seinen fortschrittlichen Dissonanzgebrauch vorzubereiten half – in dem Bühnenstück La cathédrale von 1910 gibt es sogar einen zwölftönigen Akkord. Von diesen tonalen Experimenten ist in der Violinsonate von 1900/01 und dem Klavierquintett von 1907/08 nun zwar eher weniger zu hören; die melodische und harmonische Sprache gehört mit ihrem Stufenreichtum und ihren dissonanzgesättigten Akkorden genuiner, reifer Spätromantik an. Die avancierten, wenn nicht avantgardistischen Momente muß man etwa in der Form suchen: So beginnt der Kopfsatz der Violinsonate „Grave et dramatique“ mit einem geradezu zauberischen Wechselspiel von sich befragenden und antwortenden Rezitativen der beiden Instrumente; formale Planung und Spontaneität (Huré war ein begnadeter Improvisator) ergänzen sich sehr harmonisch. Das Finale des viersätzigen Werkes, das mit guten 40 Minuten geradezu sinfonische Dimensionen aufweist, nimmt die Melodik des Kopfsatzes wieder auf; doch in allen Momenten dieses erfüllten Werkes wird das Material mit viel Freiheit und Erfindungsreichtum verarbeitet. Dies läßt sich auch für das etwas später geschriebene Klavierquartett sagen, das ähnlich planvoll aus einem kleinen, zarten Fugato entwickelt wird, und nun auch modales Tonmaterial in seine Musiksprache mit aufnimmt – kein Wunder, dass selbst der notorisch unbarmherzige Debussy den jüngeren Kollegen mit Hochachtung bedachte. Die Streicher um die Pianistin Marie-Josèphe Jude musizieren beide Werke mit enormem Klangsinn, sie singen die mal einfach, mal verspielten Linien Hurés aus, balancieren auch schwere Akkordik geschmackvoll, ohne zuviel an Perkussivität und bringen die Klänge zu einem dunklen Glühen: sowohl kompositorisch wie künstlerisch eine echte Entdeckung.
Prof. Michael B. Weiß [18.03.2010]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Jean Huré | ||
1 | Sonate für Violine und Klavier | 00:40:36 |
5 | Klavierquintett | 00:30:34 |
Interpreten der Einspielung
- Marie-Josèphe Jude (Klavier)
- Philippe Koch (Violine)
- Quatuor Louvigny (Streichquartett)