Ondine ODE 1196-2
1 CD • 69min • 2011
06.08.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Dass George Enescus zweiter Sinfonie zu Lebzeiten ihres Schöpfers nur eine einzige Aufführung beschieden war, dürfte in der Natur der kapitalen Sachen begründet sein: Das 1912-14 entstandene und ein Jahr nach dem Abschluß in Bukarest aus der Taufe gehobene Werk muß viele Male gehört werden, bevor sich der ganze Reichtum seines Innenlebens wirklich erschließt und bis man begreift, dass das, was im ersten Moment wie der Beutezug eines komponierenden Raubritters oder der Fang eines findigen Fischers anmutet, der sein engmaschiges Schleppnetz durch die Strömungen der damals aktuellen Tonkunst zog, in Wahrheit das durchaus individuelle (sprich: unteilbare) Produkt einer Persönlichkeit ist, die mit weit geöffneten Armen die klingende Welt auf sich einwirken läßt, um mit Begeisterung und Bedacht ihre Architekturen zu formen.
Die zu diesem Verständnis nötigen Mehrfach-Aufführungen hätte man weiland wohl gar nicht leisten können, und auch in den bisherigen Jahrzehnten der Tonträgergeschichte scheint keine Einspielung eine wahre Initialzündung ausgelöst zu haben. Das könnte sich mit der vorliegenden Produktion nachdrücklich ändern, denn das Engagement, das Hannu Lintu und das Philharmonische Orchester aus Tampere im Umgang mit dem gut fünfzigminütigen Koloß an den Tag legen, wirkt von Anfang an derart magnetisch, dass man sich willig durch die tausendfältigen Verästelungen des zyklisch konzipierten, sprachlich aus den romantischen Ressourcen von Berlioz bis Strauss schöpfenden Kreation wird führen lassen. Der hohe, fröhliche Mut eines neuen "Don Juan", zu dem's ein wenig pulsiert wie in Mendelssohns "Italienischer", verführerisch-ätherische Walzerklänge, kostbarste Instrumentaleffekte (bis hin zu einem singulären, sinnlich versonnenen Posaunenglissando), die wechselhaften Abenteuer einer veritablen sinfonischen Dichtung: Schon die immense Ausstrahlung des Kopfsatzes genügt, um den Wunsch nach wiederholten Anhörungen zu wecken und aufrecht zu erhalten. Auch das zentrale "Andante giusto", das aus einer Kantilene nach Borodin'schem Vorbild aufsteigt, signalisiert sogleich, dass mit jedem neuen Durchgang Neues zu entdecken ist – und das Finale, in dem nach einer trauermarschartigen Introduktion von rund vier Minuten allmählich die verschiedenen Fäden und Motive in einer komplexen Tapisserie verknüpft werden, rundet die Kreuzfahrt durch die Gefilde des Fin de siècle mit solchem Elan, dass wir gern bereit sind, sogleich eine neue Reise mit der ebenso verschrobenen wie fesselnden "MS Enescu" anzutreten (wobei MS durchaus als "meisterhafte Sinfonie" gelesen werden darf).
Diesen Giganten hat Hannu Lintu mit der rund vierzig Jahre jüngeren Kammersinfonie op. 33 für zwölf Instrumente gekoppelt. Und wenn man's genau nimmt, so ist diese viertelstündige Miniatur mit ihren vier Sätzen das musikalische Hauptereignis der Produktion: Fünf Holz- und zwei Blechbläser, vier Streicher und Klavier bilden den gesamten Vorrat der gläsern transparenten Preziose, die hier eine geradezu ideale Einspielung erfahren hat. An jedem Pult von höchster Aufmerksamkeit und Gestaltungskraft getragen, entsteht aus der äußeren Askese eine Ausdruckskraft und -vielfalt, die aufgrund ihrer gedrängt-gedrungenen Dimensionen noch direkter "einschlägt" als das voraufgegangene Opus, obwohl sich die harmonischen Bezüge längst aufgelöst haben und George Enescu in tonale Bereiche vorgestoßen ist, von wo aus er eine freie Aussicht auf eine Zukunft hatte, die erst nach dem Ende der "Avantgarde" beginnen konnte. Sechzig Jahre nach der Vollendung dieses vollendet geschliffenen Juwels dürfte es so weit sein ...
Rasmus van Rijn [06.08.2012]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
George Enescu | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 A-Dur op. 17 | 00:53:16 |
5 | Kammersinfonie op. 33 für 12 Instrumente | 00:15:51 |
Interpreten der Einspielung
- Tampere Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Hannu Lintu (Dirigent)