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Besprechung CD

Lucas Debargue

Scarlatti • Chopin • Liszt • Ravel

Sony Classical 88875192982

1 CD • 78min • 2015

19.08.2016

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 5
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 6

Unsere Erwartungen bestimmen unweigerlich auch unsere Wahrnehmungen. So wäre es dem Rezensenten denn auch lieber gewesen, er hätte die Aufmerksamkeit um den französischen Pianisten Lucas Debargue erst nach dem Hören seiner Debüt-Platte mitbekommen. „Der unheimliche Pianist“ oder „Der Pianist, der aus dem Nichts kam“ titeln deutsche Online-Medien über den 1990 geborenen Debargue. Da wird also bereits an einer Geschichte gestrickt, die ihn von den anderen begabten Pianisten seiner Generation kräftig abheben soll. Schauen wir uns die Fakten an.

Ein Autodidakt, wie kolportiert wurde, ist Debargue definitiv nicht. Tatsache ist, dass er mit elf Jahren verhältnismäßig spät mit dem Unterricht anfing, doch das bereits am Konservatorium im heimischen Compiègne. Nach vier Jahren legte er eine Pause ein, um dann mit Anfang 20 am Konservatorium von Beauvais die Klavierstudien wieder aufzunehmen und abzuschließen. Laut eigenen Aussagen hat er drei Jahre kein Klavier angerührt. Das ist ein langer Zeitraum, gerade in den heute üblichen durchorganisierten stromlinienförmigen Lebensläufen. Nach einer vierjährigen Vorbereitungszeit bei Rena Shereshevskaya gewann er einen überaus beachtlichen vierten Preis beim Tschaikowsky-Wettbewerb 2015. Insgesamt ist dies ein eher ungewöhnlicher, vielleicht sogar aufsehenerregender Werdegang, aber nicht zwangsläufig die Voraussetzung für eine Weltkarriere.

Vorliegendes Debüt ist der Mitschnitt eines Rezitals, das Debargue 2015 im Pariser Salle Cortot gab. Es wurde auch sogleich vielfach rezensiert – die Vermarktungsmaschine funktioniert in den nicht-spezialisierten Medien einwandfrei. Umso dringlicher empfiehlt sich ein möglichst nüchterner Hörblick auf die einzelnen Interpretationen. Da Debargue kein Autodidakt ist, sondern vielmehr ein genügend professionell ausgebildeter Musiker, braucht man sich zumindest um falsche Noten schon einmal keine Sorgen zu machen.

Es ist wohl zum Teil der trockenen Akustik des Salle Cortot geschuldet, zu einem weiteren Teil der unvorteilhaft direkten Abbildung des Flügels: Der Ton Debargues wirkt zu keinem Zeitpunkt besonders individuell oder gar, wie immer wieder zu lesen war, originell. Weder ist Debargue ein Klangzauberer, noch ein Analytiker, die linke Hand wirkt in Frédéric Chopins vierter Ballade f-Moll, auch in Maurice Ravels Gaspard de la nuit, eher ein wenig unflexibel, nicht ganz vollendet kontrolliert. Debargue hört dem Flügel durchaus zu, geht gerade im Hauptstück des Programms, dem Gaspard, auf dessen Klangnuancen ein, doch Vincent Larderet hatte dieses Stück 2010 skrupulöser angefasst und es somit noch hypnotischer eingefangen.

Die vierte Ballade Chopins wirkt durchaus aus dem Augenblick entwickelt, die Form ergibt sich natürlich, doch auch hier könnten die einzelnen Momente mit einem größeren Anschlagsreichtum interessanter gestaltet werden. Die vier Sonaten Domenico Scarlattis verlieren, weil Debargue sie konzeptionell zu wenig pointiert angeht; weder ist der Ton am Cembalo orientiert wie bei Glenn Gould – auch dieser Vergleich wurde unpassenderweise gezogen –, weder ist die Melodik so belcantistisch aufgespannt wie bei Vladimir Horowitz, noch die harmonisch-formale Progression so weitsichtig zusammengefasst wie bei Murray Perahia. Den stärksten Eindruck hinterlässt der erste Mephisto-Walzer Franz Liszts mit seiner Lust am Rhythmus, aber auch der plastischen Realisierung der mehrdimensionalen Passagen.

Unter dem Strich bleibt ein hörenswertes Debüt eines zweifellos begabten jungen Pianisten, der freilich seine Generationenkollegen bisher noch keineswegs in den Schatten stellt.

Prof. Michael B. Weiß [19.08.2016]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Domenico Scarlatti
1Sonata A major K 208 L 238 – Andante e cantabile 00:05:00
2Sonata A major K 24 L 495 – Presto 00:04:22
3Sonata C major K 132 L 457 – Cantabile 00:04:42
4Sonata d minor K 141 L 422 – Allegro 00:03:52
Frédéric Chopin
5Ballade Nr. 4 f-Moll op. 52 Nr. 4 00:12:02
Franz Liszt
6Mephisto-Walzer Nr. 1 A-Dur S 514 R 181 00:12:45
Maurice Ravel
7Gaspard de la nuit 00:24:39
Edvard Grieg
10Melodie op. 47 Nr. 3 00:05:09
Franz Schubert
11Moment musical f minor op. 94 No. 3 D 780 – Allegro moderato 00:02:32
Domenico Scarlatti
12Sonata A major K 208 L 238 – Andante e cantabile 00:02:27

Interpreten der Einspielung

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