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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Bernstein

On The Waterfront

BIS 2278

1 CD/SACD stereo/surround • 63min • 2016

27.04.2018

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Der Schwede Christian Lindberg (Jg. 1958) hat sich früh als einer der besten Posaunisten weltweit einen Namen gemacht und zahlreiche Werke namhafter Komponisten für dieses Instrument, die ihm sogar zum Teil gewidmet sind (Berio, Xenakis…), uraufgeführt. Daneben ist er aber auch immer schon als Komponist und – in letzter Zeit mit zunehmender Aktivität – dirigentisch hervorgetreten. Seine noch im Entstehen begriffene, neue Gesamteinspielung sämtlicher Symphonien des wohl bedeutendsten schwedischen Symphonikers, Allan Pettersson (1911-1980) mit Norrköpings Symfoniorkester hat bislang zu Recht höchstes Lob erhalten.

Wie geht nun ein Dirigent, der von Beginn an sowohl über Erfahrung mit dem Jazz als auch mit aktuellsten Entwicklungen zeitgenössischer Musik verfügt, mit dem in vielerlei Hinsicht zwar eklektizistischen, aber im Nachhinein betrachtet doch wie ein genialer Schmelztiegel nahezu aller musikalischen Strömungen des 20. Jahrhunderts wirkenden Schaffen Leonard Bernsteins um? Zunächst einmal stellt die Auswahl der auf dieser Hybrid-SACD zum hundertsten Geburtstag des großen Amerikaners dargebotenen Werke geschickt so etwas wie ein „Best of“ seiner Orchestermusik ohne solistische Beteiligung dar, auch wenn sie sich auf Stücke beschränkt, die vor 1960 entstanden sind. Trotzdem gewährt dies Einblicke in eine Vielfalt unterschiedlicher Genres, vom Ballett über Broadway Show, satirische Operette und Musical bis zur Filmmusik.

Wenn es von diesen vielgespielten Werken doch etliche Einspielungen gibt, muss sich Lindberg vor allem zwei direkten Konkurrenten stellen: Leonard Bernstein selbst (auf DG) und dessen Tanglewood-Schülerin Marin Alsop (Naxos). Um es gleich vorweg zu nehmen: An Durchschlagskraft, Charme und geradezu überbordender Intensität bleibt der Komponist als Interpret seiner Werke nach wie vor ungeschlagen. Trotzdem kann man hören, wie sich die Sicht auf Bernsteins Musik 30 Jahre später doch auf andere Weise differenzierter darstellt. Alsop hält sich über weite Strecken fast sklavisch an Bernsteins Tempi und fächert das Stimmengeflecht wie dieser zumeist gemäß dem Motto auf: Eine führende (Ober)stimme, der Rest ist Begleitung. Jedoch nimmt sie schon etwas den Druck aus manchen ekstatischen Adagio-Ausbrüchen, die Tränendrüsen werden hier bereits geschont.

Lindbergs Aufnahme geht noch einen Schritt weiter: Die Tempi insbesondere eh‘ bereits flotter Passagen nimmt er in oft schier unglaublicher Geschwindigkeit (Candide-Ouvertüre, Presto barbaro in On the Waterfront), was einerseits für die enorme Spielfreude und Virtuosität des Royal Liverpool Philharmonic Orchestra spricht, andererseits besagten Überdruck eben nicht nur aus grandios-romantischen, aber kitschgefährdeten Stellen nimmt, sondern auch, so paradox das zunächst klingen mag, aus den Passagen, die Bedrohung und Gewalt darstellen. Das wird manchem nicht gefallen, weil es bewusst theatralische, dramatische Sphären geradezu verleugnet. Dafür gelingt es Lindberg, bislang eher unbewusst wahrgenommene musikalische Strukturen, etwa manch interessantes kontrapunktisches Spiel in den Mittelstimmen und die Formen als solche, in vorbildlicher und ungewohnter Weise herauszuarbeiten. So wird aus Bühnen- bzw. Filmmusik echtes, symphonisches Repertoire für den Konzertsaal, quasi absolute Musik – dass Bernstein die Stücke aus der West Side Story „Symphonic Dances“ nennt, also beim Wort genommen. Vielleicht ist diese Herangehensweise einfach nur nordisches Understatement – wahrscheinlicher ist, dass Lindberg vorschwebte, die Meisterschaft Bernsteinscher Komposition bis ins Detail zu demonstrieren, jenseits äußerlicher Effekthascherei, die man ihm ja von verschiedenen Seiten immer auch vorgeworfen hat. Dies gelingt Lindberg bei allen hier dargebotenen Werken sehr überzeugend. Der ungeheuren Vitalität und Zugänglichkeit dieser Musik tut dies – für mich wenig erstaunlich – keinerlei Abbruch.

Dazu passt eine vorzügliche Aufnahmetechnik, die ebenfalls auf Räumlichkeit – noch deutlicher im SACD-Layer – und Durchsichtigkeit setzt, dafür auf die gerade von Bernsteins Aufnahmen mit dem Israel Philharmonic Orchestra gewohnte (und damals sicher in Absprache mit den Tonmeistern so gewollte) Basslastigkeit verzichtet. Insgesamt eine gerade auch für Einsteiger lohnenswerte CD, die Bernstein teilweise in ganz neuem, gewissermaßen zeitlosen Licht erstrahlen lässt.

Vergleichsaufnahmen: Leonard Bernstein, Los Angeles / Israel Philharmonic Orchestra (1979-83, DG 447 950-2), Marin Alsop, versch. Orchester (2003-18, Naxos 8.508018).

Martin Blaumeiser [27.04.2018]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Leonard Bernstein
1Candide 00:04:15
2Symphonic Dances (from: West Side Story) 00:22:29
11Fancy Free 00:06:51
12On the Waterfront 00:17:27
20On the Town (Three Dance Episodes, 1944) 00:09:56

Interpreten der Einspielung

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