festas suramericanas
piano music by heitor villa lobos and alberto ginastera
Ars Produktion ARS 38 260
1 CD • 63min • 2018
16.11.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Photos von Männern in schwarzer Ledermontur, die Noten verbrennen, rufen – zumindest in Deutschland – weniger positive Assozationen hervor, als es eine CD mit entdeckungswerter amerikanischer Klavierliteratur wohl sollte. Da hat jemand beim Coverdesign zuviel gewollt. Ebenso beim Titel „Festas suramericanas“. Das klingt vage nach gemischtem Guitarrenrezital – nicht nach einer seriösen (gleichwohl höchst unterhaltsamen) Aufnahme zwei der wichtigsten Vertreter der amerikanischen klassischen Musik des 20. Jahrhunderts.
Wer die visuelle Hürde erfolgreich genommen hat, stößt auf den Namen des Künstlers: Andreas Woyke. Kein großer, bekannter Name am Pianistenhimmel, aber vielleicht einigen in Erinnerung als essentielle Hälfte der ausnehmend guten Aufnahmen der Beethoven-Cellosonaten mit Friedrich Kleinhapl, in denen Woykes muskulös-musikalisches Feingefühl nachhaltig beeindrucken konnte. Diese Qualitäten kommen auch Heitor Villa-Lobos und Alberto Ginastera zugute. Beide eher für ihre Orchesterwerke bekannten Komponisten sind hier mit je zwei Werken vertreten, die den geneigten Klaviermusikliebhaber sofort für sie einnehmen wird.
Der Brasilianer Villa-Lobos (1887-1959) und der Argentinier Ginastera (1916-1983) wurden beide von der Europäischen Avantgarde beeinflusst, der Stärke ihres individuellen Ausdrucks und ihrer tonalen, auf Kommunikation bedachten musikalischen Sprache war das aber nicht abträglich. Ebenso sind bei beiden Komponisten – analog zu den Ethnoforschern Bartók, Saygun oder Enescu – traditionelle heimatliche Musik und Volksweisen in die Arbeit eingeflossen. Bei Villa-Lobos generell freier und häufiger verwendet, bei Ginastera etwas konstruierter und seltener.
Bei dieser Aufnahme könnte allerdings der genau umgekehrte Eindruck entstehen: Villa-Lobos, zwar farbenfroh, also ein Komponist, der in einem durchaus in Europa zu verortenden Stil (zwischen Strawinsky und Mompou) schreibt und Ginastera als jemand, der in den Danzas Argentinas (1937; aus seiner stilistischen Zeit des „Objektiven Nationalismus“ ), ganz das Versprechen des Titels erfüllend, seine südamerikanische Seite gänzlich und ungebändigt zum Vorschein kommen läßt. Seine Sonate Nr. 1 op.11 (1952 -inzwischen sind wir in seiner Phase des „Subjektiven Nationalismus“ angekommen), ist etwas abstrakter, etwas strukturierter. Die weiten Dimensionen eines eben südlichen Americana (à la Aaron Copland) treffen auf mechanische Beharrlichkeit die an George Antheil erinnert.
Das von Villa-Lobos‘ Artur Rubinstein gewidmete Rudepoêma („Wildes Gedicht“) ist eine überschäumende und eben wilde Komposition mit Le Sacre du Printemps als offen ausgegebenem (und gegen Ende des Stückes auch als solches deutlichem) Vorbild. Von brasilianischer Volksmusik beeinflusst ist es eher in der Geste als im Ton. Hier steht Woyke der bisherigen Referenzaufnahme von Nelson Freire (Warner, 1974) in nichts nach; er läßt den Farben ein wenig mehr Raum zum atmen, spielt aber deswegen nicht weniger virtuos. Ciclo Brasileiro („Brasilianischer Zyklus“) ist mit seinen vier heterogenen Sätzen vielleicht noch beeindruckender und errinnert an alle möglichen Facetten, die in die Musik Villa-Lobos‘ eingeflossen sind, von ‚Debussy unterm Kautschukbaum‘ bis Edgar Varèse.
Einerseits in der Auswahl der Werke, aber auch auf Grund des pianistischen Feuerwerks (gepaart mit Nuance und Tiefgründigkeit) das Woyke hier zündet, ist dies eine mit jedem Abspielen beeindruckendere CD. Der hervorragend Klang – Aufnahme- sowie Bösendorfertechnisch – runden den (trotz des Covers) höchst positiven Eindruck ab.
Jens F. Laurson [16.11.2018]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Heitor Villa-Lobos | ||
1 | Ciclo Brasileiro (Plantio do caboclo, Impressões seresteiras, Festa no sertão, Dança do índio branco) | 00:04:23 |
5 | Rudepoêma | 00:18:42 |
Alberto Ginastera | ||
6 | Klaviersonate Nr. 1 op. 22 | 00:16:31 |
10 | Danza del viejo boyero op. 2 Nr. 1 (aus: Danzas Argentinas op. 2) | 00:01:27 |
11 | Danza de la moza donosa op. 2 Nr. 2 (aus: Danzas Argentinas op. 2) | 00:04:05 |
12 | Danza del gaucho matrero op. 2 Nr. 3 (aus: Danzas Argentinas op. 2) | 00:03:15 |
Interpreten der Einspielung
- Andreas Woyke (Klavier)