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Besprechung CD

Tan Dun

Fire Ritual

BIS 2406

1 CD • 63min • 2018

12.04.2019

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Ginge es alleine nach dem Ausmaß der wohlverdaulichen Klangreize und damit verbunden dem äußeren Erfolg, so wäre der in New York heimisch gewordene Chinese Tan Dun (geb. 1957), der einst mit der Oper Marco Polo auf der Münchner Musiktheater-Biennale seinen internationalen Durchbruch feiern konnte (als dieses Festival noch der Rede wert war), heute zusammen mit Kollegen wie Osvaldo Golijov, Mohammed Fairouz, Georg Friedrich Haas oder Nico Muhly einer der weltbesten Komponisten. Doch was beispielsweise die Fähigkeit, auch eine größere Formentwicklung als erlebbaren Zusammenhang entstehen zu lassen, sollte er noch einige Mühen investieren, und hier wie auch bezüglich vielseitigerer Innovation könnte er sich an in der stilistischen Ausrichtung verwandten Meistern wie seinem legendären Landsmann Chou Wen-Chung (geb. 1923) oder dem großen Kambodschaner Chinary Ung (geb. 1942), die beide ebenfalls in den USA eine Heimat fanden, orientieren. Andererseits steht außer Zweifel, dass Tan Dun eine klare künstlerische Handschrift, also eine Art Identität gefunden hat, die seine ritualistischen, gar schamanistischen ländlichen chinesischen Wurzeln mit der rastlosen Urbanität amerikanischer Ausprägung verknüpft. Seine Musik ist hitzig und kühl zugleich, sie wird dann innig, wenn er unverstellt traditionelle lyrische Elemente der Peking-Oper auf das westliche Instrumentarium überträgt, und hier braucht er natürlich Musiker, die bereit und in der Lage sind, die ethnisch originale Tongebung und artikulatorische Gestaltung mit aller zur Verfügung stehenden Neugierde und Intensität von ihm zu erlernen. Und so kommt es zu einem singulären Glücksfall wie der vorliegenden Produktion, wo sich die junge norwegische Violinvirtuosin Eldbjørg Hemsing bereit fand, mit der ungehemmten Kraft ihrer Begeisterung und ihrem immensen geigerischen Können ein tonsprachliches Spektrum zu erlernen und sich anzueignen, welches westlichen Musikern bei aller mittlerweile weit verbreiteten musikethnologischen Hörerfahrung fremdartig anmuten muss.

Eldbjørg Hemsing und der Komponist als Dirigent haben im September 2018 mit den Osloer Philharmonikern zwei der drei Violinkonzerte eingespielt: den bereits vor einem Jahrzehnt vollendeten, jedoch bis vor dieser Aufnahme mehrmals revidierten Zweiteiler Rhapsody and Fantasia, der ganz klaren Bezug auf westliche Populärmusik (Hip-Hop) und die Musik der Peking-Oper nimmt; und das 2018 fertiggestellte Fire Ritual, das den Opfern der Kriege aller Zeiten und Orte gewidmet ist und als Botschaft eine Beschwörung der Kräfte der Wiedergeburt der Getöteten beinhaltet.

Tan Dun baut seine überwiegend sehr robuste und primär von einfachen Rhythmen bestimmte, dann wieder äußerst zärtlich umgarnende und melismatisch süße Musik auf extrem scharfen Kontrasten auf, auf eindeutig einander gegenübergestellten Abschnitten, unter welchen mir die lyrisch feinfühligen eindeutig als die inspirierteren und wertvolleren erscheinen. Als Ganzes ziehe ich ohne Zögern das Fire Ritual vor, und es stört mich keineswegs, dass sich hier für jeden, der es kennt, starke Assoziationen zu Tan Duns Filmmusiken einstellen werden. Große Ausdruckskraft hat nicht nur die so kraftvoll brillante wie einschmeichelnd erotisch sich überzeugend auf die chinesische Spielweise beziehende Aufführung Eldbjørg Hemsings, sondern auch der vokale Anteil, den der Komponist neben der Stabführung in so unverkennbarer Weise zur Darbietung beiträgt. Man mag ihm vorwerfen, dass er sich seit seinen Anfangserfolgen nicht allzu sehr weiterentwickelt hat, aber wer offen bleibt, kann sich vielleicht doch schwer der archaisch anmutenden Faszination dieser Klänge, Tongesten, Stimmungen, Geräusche entziehen. Es ist ein kosmopolitisch geprägtes China, das hier zu uns spricht, in welchem Stadt und Land zu Traumgebilden verschmelzen, und damit durchaus Ausdruck aktueller Empfindungen und Realitäten sind. Man sollte in dieser Musik nicht nach Tiefe und Substanz suchen, aber man sich in den lyrischen Episoden verzaubern und in den harscheren Abschnitten – so man geneigt ist – durchaus auch etwas mitreißen lassen. Das Zusammenwirken von Solistin und Komponist ist als Glücksfall zu bezeichnen, und die tontechnische Qualität (Produzent Ingo Petry und Tonmeister Fabian Frank) steht dem – für BIS quasi eine Pflichtaufgabe – nicht nach. Ein einigermaßen informativer Booklettext mit einem Kurzbeitrag Tan Duns rundet das authentische Bild ansprechend ab.

Christoph Schlüren [12.04.2019]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Tan Dun
1Violinkonzert (Rhapsody and Fantasia) 00:32:50
7Violinkonzert (Fire Ritual, A music ritual for the Victims of War) 00:29:00

Interpreten der Einspielung

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