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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Kalevi Aho

Chamber Music

BIS 2186

1 CD/SACD stereo/surround • 81min • 2017, 2018

09.08.2020

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Es mag zumal in den hochvirtuosen Instrumentalkonzerten für den Hörer oft schwierig zu unterscheiden sein, ob es sich bei der Musik des bedeutenden finnischen Zeitgenossen Kalevi Aho um wirklich substanzielles, aus der Tiefe authentischen Erlebens gestaltetes Komponieren oder doch mehr um meisterlich und fantasiereich präsentierte technische Brillanz voll äußerlicher Überraschungen und Sensationen handelt. Wer hier bisher Zweifel hegte, sei ausdrücklich auf vorliegende Neuerscheinung verwiesen, die nichts weiter als Solo- und Duowerke vorstellt, für Violine und/bzw. Klavier, in einem Fall auch für Cello und Klavier.

Motorisch unerbittlich

In Prelude, Toccata and Postlude von 1974 für Cello und Klavier umrahmen zwei getragene Abschnitte eine rasante, motorisch unerbittliche Toccata. Hier, in diesem äußerst spielfreudigen Stück, könnte sich am ehesten das potenzielle Vorurteil bestätigen, es ginge primär um die Zurschaustellung von Virtuosität. Doch sogleich überzeugt bereits hier die zusammenfassende Spannkraft des Komponisten, wobei ich mir vom technisch untadeligen Cellisten Samuli Peltonen etwas mehr Liebe zur musikalischen Gestaltung auch der kleinen Notenwerte wünschen würde.

Meisterwerke für Sologeige

Das von großen Meistern des 20. Jahrhunderts reich bedachte Repertoire für Solovioline hat Kalevi Aho gleich mit zwei herausragenden Beiträgen bedacht: mit einer gewaltigen, mehr als 20minütigen, dreisätzigen Solosonate von 1973, die bewusst an Bach anknüpft und mit großartigem Ernst dem Geiger alles technische und gestalterische Können abverlangt, ein echtes Meisterwerk in der modernen, freitonalen Traditionslinie von Reger, Schnabel, Eduard Erdmann, Jarnach, Hindemith, Heinz Schubert, Bartók, Prokofieff, Tubin oder Khachaturian. Für den erheblichen Aufwand der Einstudierung wird der Geiger mit sowohl in der Erfindung als auch in der kohärenten Architektur überwältigender Musik entlohnt, und es ist zu erwarten, dass sich nunmehr früher oder später viele auch berühmte Virtuosen außerhalb Finnlands das große Werk ins Repertoire holen werden. Das anspruchsvolle Publikum wird es ihnen danken.

Von nicht geringerem Wert ist das elegische Solostück In memoriam Pehr Henrik Nordgren von 2009, mit welchem Aho seiner Liebe und Verehrung zu seinem genialen, bis heute viel zu wenig gespielten und bekannten Landsmann Nordgren (1944-2008) Ausdruck verleiht. Ja, Nordgren konnte nur lieben wer ihn kannte, auch die erratische Chromatik, die durchaus mit einem Tonvorrat von weniger als 12 Tönen auskommen kann (wie hier bewiesen!), ist von einem unerklärlich visionären Zauber. Tatsächlich ist es Aho gelungen, in das einzigartige Idiom Nordgrens mit einer Intensität und Empathie vorzudringen, die nicht für möglich halten dürfte, wer nicht vorliegende Erfahrung macht. Auch dies ein singuläres Meisterwerk, nunmehr weit improvisatorischer anmutend und ein weiterer Beweis für Ahos chamäleonartige Kunst der Verschmelzung mit dem Objekt der Imagination. Jaakko Kuusisto spielt beide Werke mit absolut makelloser Intonation und ungeheurer Wendigkeit, ist dabei in der Nordgren-Hommage allerdings noch mehr zuhause als in der Bach huldigenden frühen Sonate, die meines Erachtens von mehr unerschütterlichem und weniger (auch technisch bedingtem) Rubato profitieren würde. Trotzdem grandios.

Ganz wunderbar und tief berührend ist ein weiteres Epitaph-Stück, das zerbrechliche Lamento für 2 Geigen für den Geigerfreund Sakari Laukola von 2001, in welchem Pekka Kuusisto sich mit seinem Bruder Jaakko zu einer Ausdruckseinheit verbindet. Ein faszinierendes Stück ist Halla für Violine und Klavier von 1992, in welchem sich der Komponist wieder einmal als – auch in der relativen Kürze fesselnder – Tondichter von große Format erweist.

Gelungene Hommage à Beethoven

2016 komponierte Kalevi Aho seine 2. Klaviersonate Hommage à Beethoven, für Sonja Fräki, die auf vorliegender CD alle Klavierparts spielt. Auch dieses Werk ist eine recht gigantische technische Herausforderung, die mit Bravour und gutem Geschmack gemeistert wird, wobei auch hier mehr Tempo continuo von Vorteil wäre – dies der einzige Einwand. Diese Sonate ist bis auf einen der fünf Sätze über Themen aus Beethovens Hammerklavier-Sonate konstruiert, die offen erkennbar dargelegt und sodann symphonisch nach allen Regeln der neueren Kunst demontiert in neue Ausdruckswelten überführt werden, unter Gebrauch der überreichen Palette der freitonalen Harmonik und mit immensem kontrapunktischen Können. Wieder frappiert Ahos Fähigkeit, über alle Klippen der Schroffheit (hierin Beethoven oft sehr nah) und extremen Kontraste hinweg eine zusammenhängend erlebbare Formung zu schaffen. Wer überdies als Pianist Musik mit unmittelbarem Beethoven-Bezug sucht, die niemals peinlich, banal oder effektheischerisch wird, hat jetzt keine Ausreden mehr: Hier ist das gesuchte Werk.

Ein herausragender Meister

Die Einführungstexte von Kalevi Aho selbst informieren kompakt über alles Nötige. Die Tontechnik (Thore Brinkmann und, in 2 Stücken, Hans Kipfer) in der Kalevi Aho Hall in Lahti ist auf exzellentem BIS-Niveau. Mit anderen Worten, es stimmt so gut wie alles. Und der Beweis ist hinreichend erbracht, dass Aho für eine einzelne Geige oder ein Klavier ebenso phänomenale Musik schreibt wie in Oper und Symphonik, dass er einer der herausragenden Komponisten unserer Epoche ist.

Christoph Schlüren [09.08.2020]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Kalevi Aho
1Prelude, Toccata and Postlude 00:09:36
4Lamento (In memoriam Sakari Laukola) 00:04:36
5Halla 00:07:40
6Sonata for solo violin 00:20:57
9In memoriam Pehr Hendrik Nordgren 00:10:09
10Klaviersonate Nr. 2 (Hommage à Beethoven) 00:26:30

Interpreten der Einspielung

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