Joseph Haydn
String Quartets op. 76 | 4 - 6
BIS 2358
1 CD/SACD stereo/surround • 60min • 2018
03.04.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Stand um 1800 ein Streichquartett auf dem Programm, konnte sich der Hörer zumeist auf die Folge Sonatenhauptsatz, Liedform oder Variationen, Menuett+Trio, Rondo oder Sonatenhauptsatz verlassen. Tat er das bei Joseph Haydns Erdödy-Quartetten, hatte er die Rechnung ohne den Komponisten gemacht. Diese waren 1797 exklusiv für das Hausquartett des Grafen Erdödy entstanden und durften deshalb erst zwei Jahre später im Druck veröffentlich werden.
Überraschende Neuerungen
Haydns 6 Quartette op. 76 zeugen von der Experimentierlust eines 65-Jährigen und warten mit einem Reichtum an formellen und harmonischen Neuerungen auf. Warum nicht einmal Variationsartiges wie in Nummer 5 und 6 (mit angehängter Fuge) als Kopfsatz? Warum nicht einmal – wie in der Nummer 4 – den Hörer mit einem lyrischen „falschen“ Quasi-Andante-Beginn austricksen und das Brio nachliefern? Harmonisch bereiten diese Werke bereits den Grund für die Romantik. Wer außer Haydn hätte sich getraut, den „(Quasi una) Fantasia“-Mittelsatz eines Werks in Es-Dur in der Mollvariante der Tonika (ces-moll, als h-moll ohne Vorzeichen notiert) zu beginnen, durch den halben Quintenzirkel zu modulieren, um dann in H-Dur zu schließen? Ähnlich das seit Bachs Wohltemperiertem Klavier kaum verwendete Fis-Dur des Largos von Nr. 5, dessen Modulationsplan bereits ein wenig Bruckner vorausnimmt. Alle Werke sind bereits im Originaldruck äußerst sorgfältig mit Artikulationsanweisungen versehen.
Licht und Schatten
Das Chiaroscuro-Quartett verfügt – obwohl es auf Instrumenten mit Darmbesaitung spielt – über eine extreme dynamische Spannweite. Dies überzeugt besonders beim Kontrast zwischen einsamer Lyrik und orchestraler Brillanz im Kopfsatz des Sonnenaufgang-Quartetts. Das ist außerordentlich packend gespielt. Leider wirken viele Tempi irgendwie gehetzt, ohne dass man dieses an außergewöhnlich kurzen Spieldauern der Einzelsätze präzise verifizieren könnte. Vielmehr liegt es an kleinen rhythmischen, artikulatorischen und metrischen Ungenauigkeiten sowie verschluckten Ornamenten. Geht man das Finale von Nr. 4 nicht wirklich und trotz der Allabreve-Vorzeichnung als „Allegro moderato“ und unter minutiöser Beachtung der Artikulation an, kommt man beim „più allegro“ und spätestens in der „più presto“-Stretta ins Schleudern. Wenn man nicht beachtet, dass im Menuett die ungeraden Takte leicht, die geraden jedoch schwer zu akzentuieren sind, verliert das Ganze seinen eleganten Schwung – NB: das Menuett wurde um 1800 durchaus noch getanzt – und kann dann auch nicht mehr durch falsche Akzente auf zufälligerweise höher stehenden Noten und Druck aufs Tempo gerettet werden. Ärgerlich wird es allerdings, wenn die Cellistin im Trio des Menuetts von Nr. 5 die zu je dreien gebundenen und gestoßenen Achtel nicht klar artikuliert und dadurch ein – auch intonatorisch – undefiniertes Grummeln erzeugt. Wieso das Fis-Dur Largo aus Nr. 5 hier – trotz ausreichender Spieldauer – eher wie ein Andante daherkommt, lässt sich wohl nur aus einem Zuviel des Machens erklären.
Der Booklet-Text ist informativ. Ob der Aufnahmeort, die Klangtechnik oder die Interpretin für eine gewisse Verschwommenheit des Cello-Parts verantwortlich zeichnen, kann nicht abschließend geklärt werden, da die anderen Instrumente durchaus greifbar und präzise im Raum stehen.
Fazit: Ordentliche, wenngleich nicht überwältigende Interpretation dreier zukunftsweisender Haydn-Quartette. Auf historischem Instrumentarium bleibt die wesentlich präzisere und stilvollere Aufnahme des Quatuor mosaïques die erste Wahl.
Vergleichsaufnahme: Quatuor mosaïques (Naïve).
Thomas Baack [03.04.2021]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Joseph Haydn | ||
1 | Streichquartett B-Dur op. 76 Nr. 4 Hob. III:78 (Sonnenaufgang) | 00:21:14 |
5 | Streichquartett D-Dur op. 76 Nr. 5 Hob. III:79 | 00:16:24 |
9 | Streichquartett Es-Dur op. 76 Nr. 6 Hob. III:80 | 00:20:58 |
Interpreten der Einspielung
- Chiaroscuro Quartet (Streichquartett)