Luigi Cherubini
The Cracovian Album
Vokalmusik für 1-3 Frauenstimmen, Violine, Cembalo und Klavier
Thorofon CTH26732
2 CD • 1h 39min • 2021,2022
16.08.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der italienische Komponist Luigi Cherubini (1760-1842), der den größten Teil seines Lebens in Frankreich verbracht hat, ist ein merkwürdiger Fall. Schon Beethoven hat ihn hochgeschätzt, auch Wagner wusste ihn zu rühmen, aber gespielt wird er bis auf den heutigen Tag vergleichsweise selten. Genau genommen haben es nur seine Oper Medée (bekannter in der italienischen Version als Medea) und das c-moll-Requiem in den klassischen Kanon geschafft. Das übrige Werk – seine zahlreichen Opern und Messen und seine Kammermusik – führt heute ein Außenseiterdasein im Bühnen- und Konzert-Repertoire. Seine Vokalmusik für den Salongebrauch, die jetzt von der Sängerin Andrea Chudak und dem Musikwissenschaftler Michael Pauser wieder entdeckt und unter dem Sammeltitel „The Cracovian Album“ aufgenommen und publiziert wurde, nimmt in Cherubinis reichem Gesamtwerk zweifellos nur eine marginale Rolle ein. Dennoch hat sich die Ausgrabung gelohnt.
In vielen Stilen zuhause
Was hat es mit diesem „Krakauer Album“ genau auf sich? Es fand sich im privaten Nachlaß des Komponisten, lagerte seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Berliner Staatsbibliothek und wurde nach dem 2. Weltkrieg in die Biblioteca Jagiellońska in Krakau überführt. Es handelt sich um eine augenscheinlich ungeordnete Sammlung von 25 Liedern, Arien, Duetten und Trios, die wechselweise mit Cembalo- oder Klavier und in drei Fällen zusätzlich mit einer Violine begleitet sind. 8 Titel sind bereits 1782 in Florenz entstanden, direkt nach Cherubinis Studium bei Giuseppe Sarti in Mailand und gleichzeitig mit seiner Arbeit an der Oper Adriano in Siria auf einen Text von Metastasio, den kurz zuvor schon sein Lehrer Sarti vertont hatte. Der Rest stammt aus der Zeit in Paris, wohin er 1787 übersiedelt war, das meiste aus den Jahren zwischen 1791 und 1801. Einen unverwechselbaren persönlichen Stil wird man in allen diesen Gesängen nicht finden, dafür kann man das Geschick bewundern, mit dem sich Cherubini spielerisch in allen möglichen Stilen bewegt. Italienische Canzonetten für eine oder mehrere Stimmen mit Cembalo stehen neben französischen Romances mit Klavier, die Sujets reichen von einfacher Volksdichtung bis zur Hochliteratur, etwa zu den „Ottave“ von Giambattista Marino und Torquato Tasso, worunter eine italienische Versform zu verstehen ist, die aus acht elfsilbigen Zeilen mit dem Schema ABABABCC besteht.
Petitessen mit gewissem Etwas
Auch Michael Pauser, der Entdecker dieser Sammlung, kann keine Auskunft darüber geben, zu welchen Anlässen und in welchem Auftrag diese Gesänge entstanden sind. Dass es sich um Gelegenheitsarbeiten handelt, steht außer Frage, und sie scheinen keinen anderen Anspruch zu haben, als zu gefallen. Und das tun sie durchweg. Einen retrospektiven Charme strahlen die italienischen Kanzonen mit Cembalo aus, die ein spezifisches Settecento-Flair vermitteln. Die Pariser Kompositionen zeigen demgegenüber eine weiter entwickelte Farbpalette. Besonders interessant sind die mitten in der Schreckensherrschaft 1793 entstandenen beiden Trios pour une fête, in denen die untergegangene Welt des ancien régime heraufbeschworen wird. Cherubini schrieb sie nach seiner Flucht aus der Hauptstadt in ländlicher Abgeschiedenheit. Sehr reizvoll ist die Gegenüberstellung von Gesängen, die er zweimal, aber zu verschiedenen Zeiten komponiert hat. Das Duett Solitario bosco ombroso von 1782 begegnet uns 20 Jahre später (Paris, 1801) als Canzona italiana wieder, jetzt in einer ausgedehnten Version von vierfachem Umfang – das längste und attraktivste Stück der Sammlung. Und Tassos Ottava Ella dinanzi al petto (Florenz, 1782) hat sich der Komponist mehr als ein halbes Jahrhundert später noch einmal vorgenommen und durch Hinzufügung einer Solo-Violine reizvoll bereichert.
Mit Schmackes serviert
Den sechs Musikerinnen um die Initiatorin Andrea Chudak ist eine engagierte und lebendige Interpretation der kleinen Pretiosen Cherubinis gelungen. Die Sopranistin geht ihre Solostücke – wie man schon von ihren diversen Meyerbeer-Alben her weiß – in sehr forscher Manier an, bringt die von Haus aus eher leichte lyrische Stimme zum Gleißen, sollte aber die dynamische Skala ihres Vortrags um einige Zwischenwerte erweitern, auch die hohe Kammermusiktugend, auf die anderen Mitwirkenden zu hören und sich gegebenenfalls etwas zurückzunehmen, noch „optimieren“. In Irene Schneider, einem echten Kontra-Alt mit balsamischer Tonfülle, hat sie in den Duetten ein starkes Gegengewicht. Die Mezzosopranistin Yuri Mizobuchi schmiegt sich in den Trios pur une fête den beiden Kolleginnen harmonisch an. Liv Migdal spielt die Violinparts mit großem, kantablem Ton. Am Klavier gibt sich Yuki Inagawa markant im Stile der Sopranistin, diskret und feinfühlig akkompagniert Anne Bussewitz die italienischen Nummern am Cembalo. Dass in diesem verdienstvollen Perlenfischer-Album die gesungenen Texte nur in der Originalsprache, aber nicht in deutscher oder wenigstens englischer Übersetzung abgedruckt sind, ist ein bedauerliches Manko.
Ekkehard Pluta [16.08.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Luigi Cherubini | ||
1 | Romance (Blessé par noire perfidie) | 00:02:43 |
2 | Chanson pour une fête (Ses bras furent notre berceau) | 00:01:22 |
3 | Romance (Dors, mon enfant) | 00:10:40 |
4 | Romance du Phenix dans La Jérusalem délivrée du Tasse | 00:01:04 |
5 | Canzonetta italiana (Bella rosa porporina) | 00:01:58 |
6 | Les sermens oubliés (Romance) | 00:02:42 |
7 | L' exil (Romance) | 00:03:18 |
8 | Le veuf inconsolable (Romance) | 00:04:19 |
9 | Le portrait de Thémire (Romance) | 00:05:10 |
10 | Solitario bosco ombroso (Duetto 1°) | 00:03:25 |
11 | Compagni amor lasciate (Duetto 2°) | 00:02:09 |
12 | Il pastor se torna aprile (Duetto 3°) | 00:04:52 |
13 | Trio pour une fête (Tendis que tu sommeille) | 00:05:47 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Trio pour une fête (Dans ce paisible azile) | 00:05:14 |
2 | L' echo (Romance) | 00:02:53 |
3 | Chanson (Un jour échappé de Cythère) | 00:04:27 |
4 | Romance (Tu les brisas ces nœud charmants) | 00:03:54 |
5 | Canzona italiana (Solitario bosco ombroso) | 00:12:15 |
6 | Ottava del Marino (Io que languir) | 00:02:01 |
7 | Ottava del Marino (E mentre dolcemente) | 00:02:05 |
8 | Ottava del Tasso (Ella dinanzi al petto) | 00:01:44 |
9 | Ottava del Tasso (La cintura d'Armida) | 00:02:50 |
10 | Notturno (Io rivedrò sovente) | 00:04:04 |
11 | Le mystère (Romance) | 00:03:38 |
12 | Ottava del Tasso "con molti cambiamenti" (Ella dinanzi al petto) | 00:04:14 |
Interpreten der Einspielung
- Andrea Chudak (Sopran)
- Yuri Mizobuchi (Mezzosopran)
- Irene Schneider (Alt)
- Liv Migdal (Violine)
- Anne Bussewitz (Cembalo)
- Yuki Inagawa (Klavier)