Antonio Vivaldi
Le quattro stagioni
MDG 903 2264-6
1 CD/SACD stereo • 51min • 2021
31.08.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
„Muss das sein?“ stöhnte der Rezensent, als er diese Scheibe in der Post fand. Was musste jedoch geschehen, damit ihn diese Einspielung wider alle Erwartungen begeisterte? Einerseits bedurfte es zweier Interpreten, deren stupendes Können und ernsthaftes Wollen es nicht nötig hatte, sich hinter amateurhaften Mätzchen und Sentimentalitäten zu verstecken. Zum anderen der farblich schon fast überreichen Trost-Orgel in Waltershausen und eines darauf abgestimmten, perfekten Arrangements.
Orgelkonzerte mit obligater Violine
Bereits zu Lebzeiten Vivaldis war es gängige Praxis, Concerti für Tasteninstrumente zu arrangieren. Schon der junge Johann Sebastian Bach und sein Vetter Johann Gottlieb Walter schufen solche Bearbeitungen. Nicht zuletzt, um daraus Formverläufe auf der Basis von Ritornellen für repräsentative Präludien (Es-Dur, „Dorische“ Toccata) oder Eingangschöre von Kantaten zu entwickeln. Zudem hat ein farbsattes Instrument wie die Trost-Orgel in Waltershausen das Potential, die im originalen Streichersatz nur angedeuteten Bläsereffekte (Hörner, Dudelsack, Vogelstimmen) realer werden zu lassen. Wiederum sind Streicherstimmen (Violon-Bass 16‘ und Viol d‘Gamben-Bass 8‘ im Pedal) auch in der Ansprache so realistisch implementiert, dass man sich fragt, ob da nicht in Wirklichkeit jemand streicht. Da die Orgel einen halben Ton über normal steht, muss entweder der Geiger heraufstimmen oder der Organist hinuntertransponieren. Und so spielt Theophil Heinke alles einen Halbton tiefer, was die Intonation bei einer ungleichschwebenden Stimmung (1/5 Komma mitteltönig, modifiziert) die jeder Tonart ihre Eigenfarbe belässt, keinesfalls erleichtert. Da ist es nur natürlich, dass man sich – um ein Es-Moll im Winter zu vermeiden – auf 440 Hz einigte.
Heinkes Arrangements sind aufwändig und nutzen alle klanglichen Möglichkeiten seines dreimanualigen Haus-Instruments mit unglaublichem Geschick.
Perfekt!
David Gorol spielt den Solopart mit wundervoll präziser barocker Artikulation, intelligenter, spannungsvoller Phrasierung und sparsam, dafür aber gezielt eingesetztem Vibrato. Das kann man kaum eleganter machen, wenngleich einige zusätzliche „corellisierende“ Ornamente den langsamen Sätzen nicht geschadet hätten. Seine Intonation und Klanggebung sind so perfekt an Registerfarben und Stimmung der Orgel angeglichen, dass man häufig genau hinhören muss, wenn man ergründen will, wer in dieser Farbmischung gerade was spielt. Theophil Heinkes Bearbeitungen des Streichersatzes erfordern eine stupende Technik, extreme Reaktionsgeschwindigkeit wegen der vielen Manualwechsel und einen so aufmerksamen und wendigen Registranten wie Tom Anschütz. Dann entsteht eine dermaßen vorbildliche, spannende und dem poetischen Gehalt der Concerti entsprechende Interpretation dieser eher „abgespielten“ Werke, dass man sie völlig neu für sich entdecken kann. Bravi!
Die Aufnahmetechnik profitiert von der eher trockenen Akustik der Stadtkirche Waltershausen und kann dadurch den kammermusikalischen Charakter der Kompositionen bewahren. Das Booklet druckt praktischerweise eine Übersetzung der den Jahreszeiten beigegebenen Sonette und die Disposition der Orgel ab.
Fazit: Pflichtkauf für Organisten wegen der Arrangements. Allen anderen, dringend empfohlen. Für mich die ultimative Aufnahme. Der Sportreporter würde sagen: „ Gaaanz großes Tennis, wie sich die hier die Bälle zuspielen.“
Thomas Baack [31.08.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Antonio Vivaldi | ||
1 | Konzert E-Dur op. 8 Nr. 1 RV 269 (Der Frühling - aus: Die vier Jahreszeiten) | 00:10:29 |
4 | Konzert g-Moll op. 8 Nr. 2 RV 315 (Der Sommer - aus: Die vier Jahreszeiten) | 00:11:05 |
7 | Konzert F-Dur op. 8 Nr. 3 RV 293 (Der Herbst - aus: Die vier Jahreszeiten) | 00:10:26 |
10 | Konzert f-Moll op. 8 Nr. 4 RV 297 (Der Winter - aus: Die vier Jahreszeiten) | 00:08:22 |
13 | Violinkonzert a-Moll op. 3 Nr. 6 | 00:10:41 |
Interpreten der Einspielung
- David Gorol (Violine)
- Theophil Heinke (Orgel)