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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Hans Seeling

Piano Works

MDG 904 2247-6

1 CD/SACD stereo/surround • 75min • 2022

07.03.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Karl-Andreas Kolly zählt zu jenen verdienstvollen Pianisten, die sich regelmäßig abseits des vielgespielten Klavierrepertoires umsehen und dabei beachtliche Entdeckungen machen. Immer wieder hat er durch CD-Veröffentlichungen die Aufmerksamkeit auf weniger bekannte Werke gelenkt, die aber durchaus eingehendere Beschäftigung lohnen und einer liebevollen Pflege würdig sind. Auf seinem neuesten Album widmet sich Kolly der Musik des jung gestorbenen Deutschböhmen Hans Seeling.

Virtuosität und Poesie

Seeling kam 1828 (laut Titelliste auf S. 2 des Beihefts) oder 1829 (laut Walter Labharts informativem Einführungstext) als Sohn einer jüdischen Familie in Prag zur Welt (auch die Nachschlagewerke sind sich über das Geburtsjahr uneins). Er war ein angesehener Pianist, doch wurde sein Leben von einer Lungenkrankheit überschattet, die ihn 1852 das milde Klima Italiens aufsuchen ließ. Von dort aus bereiste er den östlichen Mittelmeerraum, bevor er 1859 nach Paris übersiedelte. Todkrank kehrte er 1862 in seine Geburtsstadt zurück, wo er kurze Zeit später starb.

Als Komponist hat Seeling nur ein schmales Gesamtwerk hinterlassen, das bis zur Opuszahl 19 reicht, ganz seinem Instrument, dem Klavier, zugedacht ist und vorwiegend aus Charakterstücken und Etüden besteht. Von diesem Sachverhalt sollte man sich nicht zu Vorurteilen verleiten lassen! Gewiß, man hat es hier mit Kompositionen eines Virtuosen zu tun, die nicht verleugnen, dass ihr Autor bei seinen Interpreten eine stupende Fingerfertigkeit voraussetzt. Noch mehr aber zeigen sie, dass Seeling vor allem eines war: ein Tondichter. Wenn Donald Tovey einst über Chopin sagte, dieser nutze die Möglichkeiten des Klaviers wie ein Dichter die Möglichkeiten der Sprache, so ist damit auch Seelings künstlerische Haltung gut beschrieben. Wie bei Chopin, zu dem Seeling offensichtlich verehrungsvoll aufgeblickt hat – namentlich in einigen seiner Etüden ist das Vorbild des großen Polen deutlich zu spüren –, steht die Klaviertechnik immer im Dienste einer poetischen Idee.

Der Dichter spricht

Seelings Stücke bauen oft auf knappen, markanten Motiven auf, aus denen der Komponist liedhafte Perioden formt. Er liebt es, die Musik auf mehreren Ebenen ablaufen zu lassen, etwa indem er über eine gleichmäßige, rasche Begleitung ein kantables Thema ausbreitet, das mit einem weiteren rhythmischen Element dialogisiert. Bei der Verarbeitung seiner Gedanken überrascht Seeling immer wieder mit interessanten harmonischen Wendungen. Keines der hier eingespielten Stücke erweckt den Eindruck, dass der Komponist es ohne innere Anteilnahme geschrieben habe. Als ausgesprochen lyrikaffiner Musiker hat Seeling in mehreren Fällen ein Stück nach einem bestimmten Gedicht komponiert, so etwa die fünf Schilflieder op. 11 nach Lenau. In dem kurz vor seinem Tode beendeten zehnteiligen Zyklus Memoiren eines Künstlers op. 13 ließ er dagegen die meisten Stücke ohne Titel. Die letzten beiden, Trauermarsch und Apotheose, verraten allerdings, dass Seeling sein Ende kommen sah. Diese Memoiren können mithin als das künstlerische Testament eines empfindungs- und einfallsreichen Meisters der virtuosen Klavierminiatur bezeichnet werden.

Karl-Andreas Kolly besitzt alle Eigenschaften, die es braucht, Seelings Musik angemessen zu präsentieren. Unter seinen Händen fängt das Klavier an zu singen. Die zahlreichen Sechzehntelgirlanden spielt er nicht einfach als gleichförmige Tonfolgen, sondern weiß die melodischen Kerntöne herauszufinden, um die sich die übrigen ornamentierend ranken. Sein Tempo ist fest, aber nicht starr; Rubati wednet er stets im Einklang mit der harmonischen Entwicklung an. Souverän verdeutlicht er das Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen des Klaviersatzes, sodass sich eine Vielzahl an Dialogen zwischen den Stimmen ergibt. Kolly meistert die Ansprüche des Virtuosen Hans Seeling, und zugleich hört man, wie Hans Seeling, der Dichter, spricht.

Norbert Florian Schuck [07.03.2023]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Hans Seeling
1Poesie op. 7 Nr. 1 (Larghetto) 00:02:29
2Poesie op. 7 Nr. 2 (Appassionato) 00:03:36
3Fünf Schilflieder op. 11 00:13:38
8Concert-Etude C-Dur op. 10 Nr. 1 00:01:52
9Concert-Etude a-Moll op. 10 Nr. 2 00:02:30
10Concert-Etude e-Moll op. 10 Nr. 6 (An die Wolke) 00:02:11
11Concert-Etude As-Dur op. 10 Nr. 9 00:02:34
12Concert-Etude Es-Dur op. 10 Nr. 3 (Der Gnomentanz) 00:01:49
13Concert-Etude es-Moll op. 10 Nr. 12 00:05:01
14Barcarole op. 9 00:04:35
15Memoiren eines Künstlers op. 11 00:34:19

Interpreten der Einspielung

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