Leoš Janáček • Pavel Haas
Escher String Quartet
BIS 2670
1 CD/SACD stereo/surround • 76min • 2022
25.08.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Leoš Janáčeks (1854-1928) zwei Streichquartette von 1923 und 1928 gehören zweifelsohne zu den bedeutendsten Gattungsbeiträgen zwischen den beiden Weltkriegen. Zusammen mit den vier Opern der 1920er und der Glagolitischen Messe krönen sie ein erstaunliches Spätwerk. Beide tragen programmatische Titel: Das 1. Quartett nimmt ausdrücklich auf Tolstois Novelle Die Kreutzersonate Bezug – ein hitziges Beziehungsdrama, in dem natürlich Beethovens gleichnamige 9. Violinsonate eine gewisse Rolle spielt. Abgesehen von Anklängen an dieses Stück im dritten Satz bei Janáček wird man sich jedoch schwertun, konkrete Verweise auf Tolstoi zu finden. Noch leidenschaftlicher geben sich die Intimen Briefe, die teilweise Kamila Stösslová, die große, dennoch wohl nur platonische Liebe des Komponisten während seines letzten Lebensjahrzehnts, porträtieren sollen.
Sorgfältig, aber merklich unterkühlt
Janáčeks Musik, in der – besonders im 2. Quartett – die Stimmungen selbst innerhalb eines Satzes schnell umschlagen, ist emotional also extrem anspruchsvoll, verlangt darüber hinaus rein technisch von allen vier Streichern Höchstleistungen. Selbst namhafte westliche Quartett-Formationen haben sich daran schon ihre Zähne ausgebissen. Die Kritik nennt als Referenzaufnahmen nicht zufällig häufig zwei tschechische Ensembles: Das Smetana Quartett (Prag) trägt die beiden Werke in seiner – bereits digitalen – Denon-Einspielung mit klanglich feinsten Nuancierungen vor, den neben manch lyrischen Momenten oft direkt zu Tage tretenden Gefühlsüberdruck mit an Intensität nicht zu überbietendem Engagement. Das Škampa Quartet spielt technisch sogar eine Spur souveräner, arbeitet die kompositorischen Strukturen teils noch klarer heraus, ohne je zu übertreiben. Das Escher String Quartet aus den USA präsentiert sich zwar als überlegenes, sorgfältiges Ensemble, wirkt jedoch merklich unterkühlt. Nicht nur die in vielen Sätzen eindeutig etwas – im Finale der Intimen Briefe deutlich – zu ruhigen Tempi führen zu nivellierter Spannung. Noch irritierender, dass Janáčeks besagte, vielschichtige Stimmungswechsel hier manchmal ins Episodische zerfallen anstatt immer noch einen zielgerichteten Diskurs aufrecht zu erhalten. Das ist zu wenig.
Pavel Haas‘ meisterhaftes 2. Streichquartett
Pavel Haas war Janáčeks wohl wichtigster Schüler, gelangte 1944 leider, erst 45-jährig, über Theresienstadt in die Mordmaschinerie von Auschwitz. Lange vergessen, erregte sein zweites Streichquartett „Aus dem Affengebirge“ – eine mährische Ausflugslandschaft – durch die Einspielung des Hawthorne String Quartets in der Decca-Reihe Entartete Musik erneut Aufsehen. Drei Jahre älter als die Intimen Briefe, werden darin mit recht modernen, fast filmischen Mitteln – und ähnlich emotional übersteigert wie bei seinem Lehrer – höchst abwechslungsreiche Freizeiteindrücke geschildert. Das Escher Quartet bringt die musikalischen Charaktere ziemlich plakativ zur Geltung, reitet dabei jedoch manches Ostinato zu Tode, was so Kraft herausnimmt. Mit den Hawthornes können sie gut mithalten; das tschechische Pavel Haas Quartett (Supraphon) agiert allerdings über Strecken differenzierter. Die BIS-Aufnahmetechnik bildet eine tolle Räumlichkeit ab, ist gleichzeitig irgendwie zu direkt dran am Geschehen; das zusätzliche Schlagzeug im Haas-Finale wird perfekt integriert. Fazit: Eine sehr gute, eher musikantische Präsentation, die typisch lokale Idiome versteht, aber längst nicht in letzte Tiefen dieser Musik vordringt. Das Booklet geht sehr aufschlussreich bis ins Detail.
Vergleichsaufnahmen: [Janáček] Smetana Quartett, Prag (Denon 33C37-7545, 1976); Škampa Quartet (Supraphon SU 3486-2 131, 2001) ― [Haas] Hawthorne String Quartet (Decca 440 853-2, 1993); Pavel Haas Quartet (Supraphon SU 3877-2, 2006).
Martin Blaumeiser [25.08.2023]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Leoš Janáček | ||
1 | Streichquartett Nr. 1 (Kreutzer-Sonate) | 00:18:16 |
5 | Streichquartett Nr. 2 (Intime Briefe) | 00:25:22 |
Pavel Haas | ||
9 | Streichquartett Nr. 2 op. 7 (Aus dem Affengebirge) | 00:31:18 |
Interpreten der Einspielung
- Escher String Quartet (Streichquartett)