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Besprechung CD

TEJO

Luís de Freitas Branco ć Joly Braga Santos
Quarteto Tejo

decurio DEC-101

1 CD • 60min • 2023

07.07.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

2018 mit dem ausdrücklichen Ziel gegründet, sich besonders der Musik Portugals zu widmen, hat sich das junge Quarteto Tejo für sein Debütalbum sinnigerweise Streichquartette zweier der bedeutendsten portugiesischen Komponisten des 20. Jahrhunderts ausgesucht, nämlich Luís de Freitas Branco (1890–1955) und Joly Braga Santos (1924–1988). In beiden Fällen handelt es sich um frühe Werke ihrer Schöpfer, geschrieben mit Anfang Zwanzig, und Braga Santos’ Quartett ist obendrein Freitas Branco gewidmet, der sein Lehrer und Mentor war.

Zwischen Moderne und portugiesischer Folklore

Freitas Branco schrieb sein (einziges) Streichquartett 1911, zu einem Zeitpunkt, als der junge Komponist von der damaligen europäischen, speziell französischen Moderne fasziniert war, wovon seine frühen, sehr avancierten, impressionistisch geprägten, dabei bis in atonale Regionen vorstoßenden und letztlich bemerkenswert eigenständigen Orchesterwerke (wie Künstliche Paradiese oder Vathek) Zeugnis ablegen. Seine später entstandenen Sinfonien sind klassizistischer gehalten, u.a. an Francks zyklischem Prinzip orientiert, auch portugiesische Folklore spielt in diesen Werken (und erst recht z.B. in den Alentejo-Suiten) eine wichtige Rolle. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich das Quartett, gerade vom Klangbild her und in der reichen Harmonik (mit freien, wandernden tonalen Zentren) sicherlich deutlich von Debussy inspiriert, ohne ihn aber zu kopieren. Insofern klar als frühes, „modernistisches“ Werk erkennbar, würde ich gleichzeitig aber auch hier schon (ohne eine Partitur zur Hand zu haben) von dichten thematischen Querverbindungen à la Franck ausgehen. Originell ist die Form des Quartetts zwar in den üblichen vier Sätzen mit einem kurzen Scherzo an zweiter Stelle, aber mit einem radikal eingekürzten ersten Satz von gerade einmal knapp drei Minuten, eher Introduktion als echter Kopfsatz und insofern repräsentativ für die rhapsodischen Freiheiten dieser Musik. Andererseits erhält so das Finale, das fast die Hälfte der Spielzeit einnimmt und das (sehr hörenswerte) Quartett zu einer Art Synthese bringt, mehr Gewicht.

Epische Weitläufigkeit, jugendlicher Impetus und kantables Melos

Auch Braga Santos’ Streichquartett Nr. 1 d-moll op. 4 (1945) ist in seinen epischen, weitläufig angelegten Strukturen, seinem jugendlichen Impetus, seinem hoch einprägsamen kantablen Melos mit oft freskenartiger Begleitung auf Ostinatobasis und seiner reizvollen modalen Note ausgesprochen charakteristisch für das Frühwerk seines Schöpfers. Die große Geste dieser Musik lässt schon erahnen, dass sich Braga Santos sehr rasch auch für Sinfonien interessieren sollte (in den Folgejahren komponierte er in schneller Folge gleich vier davon, zwei weitere, nun in deutlich avancierterem Idiom, folgten später). In der Tat sind etwa zwischen dem Beginn des Finales des Quartetts und dem Beginn des Finales seiner Sinfonie Nr. 4 klare Parallelen erkennbar, die natürlich gleichzeitig ein beredtes Zeugnis von Braga Santos’ eigenem, unverkennbarem Idiom ablegen. Am Ende mündet das Quartett in einen dunklen, durchaus tragisch getönten Epilog, ein langsamen Verebben, und es dürfte keine Überinterpretation sein, dies mit dem soeben beendeten Zweiten Weltkrieg in Verbindung zu bringen (auf den Braga Santos’ Sinfonie Nr. 1, ein Jahr später entstanden, explizit Bezug nimmt). Ein starkes, ausladendes, ebenso einprägsames wie expressives Werk.

Ein fulminantes Debüt

Die Interpretationen des Quarteto Tejo sind exzellent: kraftvolle, ausdrucksstarke, inspirierte, herausragend gestaltete Lesarten, die den natürlichen Fluss und die Dramaturgie dieser Musik vorzüglich nachvollziehen auf Basis eines sehr hohen technischen Niveaus und einer bemerkenswerten Homogenität als Ensemble. Beide Quartette liegen in einigen wenigen Alternativeinspielungen vor, darunter im Falle von Freitas Branco u.a. durch das Takács-Quartett (aus den späten 1970ern), aber das Quarteto Tejo ist hier jeder Konkurrenz gewachsen bzw. übertrifft diese sogar. Gleich am Beginn des ersten Satzes von Freitas Brancos Quartett fällt im Vergleich die größere Stringenz, das Mehr an Gewicht auf, das die Musiker des Quarteto Tejo dieser Musik zukommen lassen. Sehr stark auch u.a. das kurze, effektvolle Scherzo in Braga Santos’ Quartett, dessen rhythmisch durchpulste Energie das Quarteto Tejo exemplarisch zu realisieren versteht. Von echtem Enthusiasmus geprägt (und dabei kompetent informierend) ist der Begleittext von Martim Sousa Tavares. Dass die CD es versäumt, die Längen der einzelnen Tracks anzugeben (bei einer Produktion aus dem Jahre 2024!), ist vor diesem Hintergrund nur ein kleiner Schönheitsfehler. Hier stellt sich ein junges Quartett mit selten zu hörenden, substantiellen Werken vor und beweist dabei eminente Spielkultur und interpretatorische Sensibilität. Gelungener könnte man sich ein Debüt kaum vorstellen.

Holger Sambale [07.07.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Luís de Freitas Branco
1Streichquartett
Joly Braga Santos
5Streichquarett Nr. 1 D-Dur op. 4

Interpreten der Einspielung

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