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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Georgian Project

Shorena Tsintsabadze

Ars Produktion ARS 38 375

1 CD/SACD stereo/surround • 59min • 2024

12.09.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Die in Moskau geborene, georgischstämmige Pianistin Shorena Tsintsabadze ist auf CD bislang vor allem mit romantischem Repertoire hervorgetreten, das über große Namen wie Schumann, Brahms oder Rachmaninow bis hin zu den Klavierkonzerten von Sergej Ljapunow reicht. Auf ihrem neuen Album, einmal mehr bei Ars Produktion erschienen, wendet sie sich nun der Musik ihrer georgischen Heimat zu im Rahmen eines Überblicks von den Anfängen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis ins Jahr 2024.

Tänzerisch-toccatenartiges von Matschawariani und Laghidse

Weitgehend orientiert an der Chronologie der hier vorgestellten Komponisten, beginnt die CD mit Musik von Sakaria Paliaschwili (1871–1933), einem der ersten Komponisten klassischer Musik in Georgien, bekannt geworden vor allem durch seine Opern. Viel Klaviermusik hat Paliaschwili nicht verfasst, aber seine Elegie (Tsintsabadze datiert sie auf 1922, anderenorts liest man von 1901/03) ist ein ansprechendes, melodiöses, empfindsames romantisches Genrestück, ungefähr vergleichbar mit Tschaikowskis Chanson triste. Mit Aleksi Matschawariani (1913–1995) springen wir einige Jahrzehnte weiter; sein Chorumi (ein georgischer Kriegstanz im 5/8-Takt) ist ein effektvolles Konzertstück, ein frühes Werk seines Schöpfers, deutlich folkloristisch geprägt und mit seinen ostinaten Strukturen, der prägnanten Rhythmik und den Imitationen von Volksinstrumenten vergleichbar mit Chatschaturjans Toccata. Rewas Laghidse (1921–1981) war (abgesehen von einer Oper) eher in kleineren Formen zu Hause; seine technisch anspruchsvolle Rondo-Toccata ist bei allen nationalen Intonationen auch an Schumanns Toccata geschult.

Taktakischwilis lyrisch-melodische Begabung und Zinzadses Expressivität

Otar Taktakischwili (1924–1989) konnte bereits als junger Mann u.a. mit zwei Sinfonien und seinem Klavierkonzert Nr. 1 große Erfolge feiern; sein Poem (das auch als Elegie durchgehen würde) stammt aus derselben Zeit (1951) und zeigt in wenigen Minuten exemplarisch Taktakischwilis eminente lyrisch-melodische Begabung auf. Geht Taktakischwili in der Essenz aus der russischen romantischen Schule hervor (mit starkem nationalen Einschlag), so fußt die expressive, dunkel-kraftvolle Musik von Sulchan Zinzadse (1925–1991) eher auf Schostakowitsch und Bartók; das hier eingespielte sechste seiner 24 Präludien (1971) bezieht sich zudem explizit auf Prokofjew. Bei Bidsina Kwernadses (1928–2010) Moment musical Nr. 2 handelt es sich um ein eher frühes, entspannt-melodisches Stück; der jüngst verstorbene Wascha Asaraschwili (1936–2024), der ein breites Spektrum bis hin zu Popmusik abdeckte, gedenkt in einer Elegie (auch: Nostalgie) aus dem Jahr 1991 Sulchan Zinzadses, der klarer, bewusst durchsichtig gehaltene Satz und leichte Jazzreferenzen sind dabei für Asaraschwili generell nicht atypisch.

Kantschelis still-verträumte Miniaturen

Gleichzeitig bildet das Stück damit eine passende Überleitung zum bei weitem größten Block auf dieser CD, nämlich 23 Stücken aus Gija Kantschelis Simple Music, einer 2009 publizierten Sammlung von 33 Miniaturen auf der Basis von zahlreichen Film- und Schauspielmusiken aus vielen Jahren bis zurück in die 1960er. Dies sind ganz kurze Stücke von zwischen einer halben und zwei Minuten Länge, die im Zeichen von Reduktion stehen, auf eine melodische Linie, auf wenige motivische Gesten, oft zweistimmig oder mit sparsam harmonisierender Begleitung, in dieser Hinsicht manchmal an pädagogische Literatur oder an die Klaviermusik Walentyn Sylwestrows erinnernd, auch die „verträumten Improvisationen eines Barpianisten“, die der Kollege Martin Blaumeiser an dieser Stelle schon einmal in ihnen sah, erscheinen mir treffend beobachtet. Am Ende steht mit Allegroba von Sandro Nebieridze (Jg. 2001) eine Komposition zu vier Händen, die speziell für dieses Album entstand; Tsintsabadze wird hierbei von Nebieridze selbst unterstützt. Der Titel bezieht sich auf ein georgisches Fest; gerade in den Eckteilen lassen sich Jazzeinflüsse feststellen, die leichte klangliche Verfremdung im ruhigeren Mittelteil ereignet sich letztlich auf entschieden traditioneller Basis eines Stücks mit Zugabecharakter und in C-Dur.

Erfreuliche Entwicklungen

Shorena Tsintsabadzes Ansatz ist ein grundsätzlich emphatischer, dezidiert emotionaler, sie wählt (im Vergleich zu den wenigen Alternativeinspielungen) eher breite Tempi und einen relativ kräftigen Anschlag, zu beobachten etwa in von ihr durchaus passioniert verstandenen dialogischen Linien von Taktakischwilis Poem. In manchen der schnelleren, virtuoseren Stücke gerät dabei allerdings das tänzerische, spielerisch-pointierte Element etwas in den Hintergrund; hier könnte mehr Differenzierung erfolgen. Bei der Auswahl des Repertoires wäre es m.E. eine Überlegung wert gewesen, den Schwerpunkt etwas weniger auf Kantscheli zu legen und stattdessen z.B. von einigen der weniger bekannten Komponisten ein zweites Stück aus einer anderen Schaffensperiode auszuwählen, um so Tendenzen und Entwicklungen aufzuzeigen. Nichtsdestoweniger handelt es sich um ein schönes, verdienstvolles Album, wie überhaupt die steigende Präsenz von Klaviermusik aus dem Kaukasus vermittelt durch junge Interpreten aus diesen Regionen zu den erfreulicheren Entwicklungen der letzten Jahre gehört.

Holger Sambale [12.09.2024]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Zakharia Paliashvili
1The Elegy 00:03:02
Aleksandre Machavariani
2Khorumi 00:03:59
Revaz Lagidze
3Rondo Toccata 00:04:31
Otar Taktakischwili
4Poem 00:06:06
Sulkhan Tsintsadze
5Prelude Nr. 6 h-Moll 00:01:24
Bidzina Kvernadze
6Musical Moment Nr. 2 00:01:32
Vaja Azarashvili
7The Elegy 00:03:05
Giya Kancheli
8King Lear 00:00:56
9The Eccentrics 00:01:09
10When Almonds Blossomed 00:01:56
11Unusual Exhibition 00:00:42
12As you like it 00:02:03
13Kin-Dza-Dza 00:01:39
14Mimino 00:02:40
15Mother Courage and her Children I 00:00:41
16Twelfth Night 00:01:10
17The Blue Mountains 00:01:11
18Khanuma 00:00:52
19The Caucasian Chalk Circle I 00:01:22
20The Role for a Beginner I 00:00:34
21The Caucasian Chalk Circle II 00:02:03
22Don't Grieve 00:01:02
23Bear's Kiss 00:01:24
24Earth, This is your Son 00:01:40
25Cinema 00:00:58
26The Caucasian Chalk Circle III 00:00:56
27The Role for a Beginner II 00:01:14
28Sunny Night 00:01:05
29Mother Courage an her Children II 00:01:33
30Romeo and Juliet 00:02:46
Sandro Nebieridze
31Allegroba 00:03:26

Interpreten der Einspielung

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