Teldec 0630-17126-2
1 CD • 63min • 1997
01.04.1999
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nach seinem etwas blassen Bruckner-Einstand mit der Dritten hat Nicolaus Harnoncourt jetzt eine exorbitante Neueinspielung der Vierten vorgelegt. Er wählte freilich die herkömmliche Spätversion, obwohl ihn auch die technisch angeblich schwerere Frühfassung von 1874 interessiert, und weist im Booklet auf die schwierige Probensituation hin - ein Argument, das nicht sticht! Bei einem Toporchester, das mit Ives, Varèse und Strawinsky zurechtkommt, sollte das nicht ausschlaggebend sein. Schade ist das vor allem deshalb, weil es eine ganze Menge exzellenter Einspielungen der herkömmlichen, aber keine einzige befriedigende der Ursprungs-Version gibt.
Zugegebenermaßen gelingt Harnoncourt hier der Sprung unter meine Top Five. Das liegt zum einen an der überlegenen Disposition der Tempi, die die thematischen Bezüge über die Satzgrenzen hinaus hörbar macht und so Großräumigkeit erzeugt. Und zum anderen kenne ich keine andere Aufnahme (und schon gar keine live-Aufnahme!), bei der die Balance und Durchhörbarkeit der Innenstimmen so konsequent gewahrt bleiben wie bei dieser. Dabei halfen Harnoncourt das (neben den Wiener Philharmonikern) erfahrenste Bruckner-Orchester der Welt im (neben dem Musikvereins-Saal) besten Konzertsaal der Welt ebenso wie die kongeniale Orchesteraufstellung (Geigen links-rechts, Bässe links hinter den ersten Geigen) und einige Experimente mit alten Instrumenten. Freilich hätte man darüber gern im Booklet mehr Details erfahren. Der Text bleibt vage: Da ist von "einfachen Hörnern" die Rede - hatte Harnoncourt die sogenannten "Wiener Hörner" zur Verfügung? Es klingt zumindest so. Und was sind die "Trompeten mit Drehventilen"? Bruckner rechnete mit den alten großen F-Trompeten; kurze Perinet-Ventiltrompeten wurden in Wien erst Mitte der Achtziger Jahre eingeführt, und Bruckner verwendete sie allein in der achten Sinfonie. Und die "schlankmöglichsten Posaunen": Sind das engmensurierte Zugposaunen (in Österreich waren seinerzeit Ventilposaunen üblich!), und wird (wie von Bruckner gefordert) ausdrücklich eine echte Altposaune verwendet (heute ist es leider immer noch üblich, beide Stimmen mit Tenorposaunen zu besetzen)?
Sei's drum: Entscheidend ist, wie Harnoncourt sein wie auch immer geartetes Instrumentarium einsetzt. Und da hört man hochkultiviertes Spiel. Harnoncourt gibt sich sogar Mühe, die Oboen stets führen zu lassen, ohne freilich die meist dominierende moderne Blech-Querflöte ganz zurücknehmen zu können (Bruckner instrumentierte die Flöten immer besonders stark, weil die in Wien üblichen besonders schwach waren: Noch bis 1905 wurden dort Klappenflöten aus Holz mit konischer Bohrung geblasen!). Nur einmal funktioniert Harnoncourts Tempokonzept nicht: Dort, wo Bruckner sich aus dem Scherzo in das Hauptthema des Finales hineinkomponiert (Tr. 4, 0'51, 1'02), sollte eigentlich das Grundzeitmaß des Finales mit dem des Scherzos übereinstimmen.
Dr. Benjamin G. Cohrs [01.04.1999]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104 (Romantische) |