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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Bogenwirbel und Solidität

Semifinale im Fach Kontrabass beim ARD-Musikwettbewerb

Nur ein Stück mussten die sechs Semifinalisten im Fach Kontrabass spielen, nämlich das Konzert in D-Dur von Johann Baptist Vanhal, das die zahlreichen Zuhörer im Konzertsaal der Musikhochschule also sechsmal hörten: gut zum Vergleichen. Wie es schien, variierten alle Solisten ganz persönlich die Kadenzen. Das Münchener Kammerorchester begleitete konzentriert unter der Leitung seiner Konzertmeisterin Yuki Kasai.

Die einzige Kontrabassistin eröffnete das Semifinale – und das fulminant: Naomi Shaham aus Israel begann sehr agil und wendig, suchte immer den Blickkontakt zur Konzertmeisterin, gab mit Körperbewegungen die Einsätze und tanzte fast mit, wirkte gelöst und souverän, benützte die Auftakte wie ein Sprungbrett, wirbelte beeindruckend mit dem Bogen über die Saiten und wütete sich geradezu in die Kadenzen hinein. Die lyrischen Passagen sang sie mit viel Vibrato – war aber in den höchsten Lagen nicht ganz sauber. Trotzdem schien sie ein Favorit fürs Finale zu sein.

José Trigo aus Portugal, der im Sitzen spielte, war das vollkommene Gegenteil: Er wirkte wesentlich verhaltener, unauffälliger, integrierte sich in den Orchesterklang, anstatt als Solist zu führen: Ihm fehlte die Sieger-Ausstrahlung. Dafür nutzte er mehr dynamische Kontraste, produzierte sehr schöne Flageolett-Töne und war insgesamt solide. Für den Rezensenten war er nicht überzeugend, dafür für eine Zuhörerin, die verzückt seufzte: „Aber er ist ein so schöner Mann!“

Kantables Spiel und viel Mienenspiel

Wieder im Stehen spielte Gabriel Polinsky aus den USA, mit dunkellilafarbenem Hemd und Stirnbinde ein bisschen Hippie-Atmosphäre ausstrahlend, doch insgesamt sehr ruhig und souverän wirkend. Er wartete seine Einsätze gar nicht ab, sondern spielte schon leise bei den Orchestereinleitungen mit und wuchs damit gleichsam aus dem Orchesterklang heraus. Als er dann mit seinem Solo begann, begeisterte er sofort mit außergewöhnlich kantablem Spiel und ausnehmend schönem Ton. Er brauchte kaum Körperbewegung, führte mit Ausstrahlung und Persönlichkeit. Seine Interpretation überzeugte durch Denken in größeren Strukturen, Spannung in den Kadenzen, Belebung im Adagio und feine, leichtfingrige Koloraturen, Fiorituren und Akkordbrechungen: Ein Favorit fürs Finale!

Lässig mit weißem Rollkragenpullover betrat Hongyiu Thomas Lai aus Hongkong die Bühne, der wieder sitzend spielte. Zunächst befremdlich war sein heftiges, bisweilen wie schmerzgeplagtes Mienenspiel und seine ebenso heftigen Körperbewegungen. Wunderbar war sein schöner, runder und voller Ton und sein Spiel mit viel Dynamik und voll ausgereizter Agogik. Jeder Ton seiner Läufe war sorgfältig geformt und die Kadenz im Kopfsatz war gesungen wie eine Arie. Man war gespannt, wie die Jury seine Außenwirkung beurteilt.

Unendliche Melodie und spannungsvolles Pianissimo

Ganz in Schwarz gekleidet mit Smokinghose und Lackschuhen war Vilmos Mohácsi aus Ungarn, der im stehend spielte. Er wählte deutlich langsamere Tempi, wirkte damit etwas bedeutungsvoller und konnte seinen feinnervigen, leise vibrierenden Ton dadurch besser entfalten. Schön verband er die einzelnen Phrasen und schuf damit so etwas wie eine unendliche Melodie. Das Adagio war bei ihm nicht so arios, er ließ es einfach strömen. Sehr sauber war die kleine Kadenz im Adagio und locker schwingend der Finalsatz.

Wieder sitzend spielte Philip Nelson aus den USA, bekleidet etwas sorglos mit einem dunkelgrauen Freizeithemd. Mit relativ kleinem, aber feinem Ton schien er eher mit dem Orchester mitspielen zu wollen, als es als Solist anzuführen. Damit zwang er bisweilen das Orchester zu einem spannungsvollen Pianissimo. Seine Kadenzen waren sehr fantasievoll, aber man hätte ihm gewünscht, dass er viel aktiver und dominanter aufgetreten wäre. Fürs Finale reichte das nicht.

Für den Rezensenten wären Naomi Shaham, Vilmos Mohácsi und Gabriel Polinsky die Finalisten gewesen – die Jury entschied aber anders: Ins Finale gehen José Trigo, Hongyiu Thomas Lai und Gabriel Polinsky.

Rainer W. Janka (06.09.2023)

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