Beethoven und exotische Klangeffekte
Semifinale der Klaviertrios beim ARD-Musikwettbewerb

Die diesjährigen Semifinalisten im Fach Klaviertrio hatten einerseits die Auftragskomposition der schwedischen Komponistin Malin Bång (Jg. 1974), andererseits ein Beethoven-Trio aus opp. 1/3; 70/1 &2 oder 97 zu bewältigen. Dabei erwies sich das Geister-Trio op. 70/1 als der Favorit, da nur jeweils ein Ensemble sich für op. 1/3 und op. 70/2 entschieden hat.
Rabiates und Verhauchtes – die Auftragskomposition
Malin Bångs Stück Kaolin lebt von extremen Kontrasten und Verfremdungen der instrumentalen Klänge. Der Bezug zur weißen Tonerde, dem bolus alba, erscheint mir dabei etwas gesucht, da andere ihrer Kompositionen bereits mit denselben Mitteln arbeiten. Neu sind diese jedoch nicht: Ein Cluster in tiefster Lage findet sich bereits als „Orage“-Tritt für die beliebten Gewitterszenen in französischen romantischen Orgeln. Mit aufwendigen Dämpfungen von Klaviersaiten experimentierte John Cage in den 50ern. Streichinstrumente an Stellen zum Schwingen zu bringen, die ursprünglich nicht dazu vorgesehen waren, finden sich in den 60ern bei Berio und Stockhausen. Neu mögen der Einsatz einer biegsamen Plastikarte für Glissandi und eines Wasserglases auf den Klaviersaiten sein. Somit hatte die Komposition einzig die Aufgabe, die Probanden mit ungewöhnlicher Notation und exotischen Klangeffekten zu konfrontieren und mit dem Werk – das wohl heute letztmalig erklang – eine halbwegs plausible Geschichte zu erzählen. NB: Das Ganze ließe sich per Elektronik wesentlich einfacher und instrumentenschonender – ohne Pritt-Klebepads auf den Klaviersaiten – realisieren.
Wer schafft es ins Finale?
Das Trio Ex aus Japan entschied sich für das Es-Dur Trio op. 70/2, das eine durchaus kantable Lesart erfuhr. Allerdings entging dem Ensemble, dass es sich hier um eine Tour d’Horizon Beethovens durch die Musikgeschichte von der Gregorianik über Haydnsche Doppelvariationen bis in Schubertsche Sphären handelt. So erhielt der „ungarische“ Moll-Teil der Variationen zu wenig agogisches Paprika. Die Auftragskomposition erhielt eine eher zurückhaltende Noblesse.
Dem tschechischen Trio Bohémo geriet der Kopfsatz des Geister-Trios schwungvoll und mitreißend. Der langsame Satz fiel durch Inkonsistenzen im Tempo leider etwas romantisierend auseinander. Das Tempo muss hier bereits durch die endlos erscheinenden Viertelnoten in Violine und Cello präzise getroffen und danach durchgehalten werden. Zudem hatte Pianist Jan Vojtek Mühe, für seine Streicherkollegen schlank genug zu bleiben. Kaolin gelang durchaus mit Gusto.
Das Trio Orelon (Italien, Deutschland, Spanien) tat gut daran, op. 1/3 zu wählen. Hier konnte der italienische Pianist sein wunderbares jeu perlé demonstrieren; selten hört man die Läufe in Variation 3 des Andante derart ziseliert, frech das Oktavglissando im Trio des Menuetts. Bemerkenswert, aber grundsätzlich logisch ist, dass sich das Ensemble entschloss, die Exposition des Kopfsatzes nicht zu wiederholen. Schließlich wiederholt heutzutage niemand Durchführung und Reprise. Da es den Dreien gelang, mit Kaolin eine Geschichte zu erzählen, kam erstmals auch für dieses Werk so etwas wie Begeisterung auf.
Steigerungen im zweiten Teil
Die spätnachmittägliche Runde eröffnete das französische Trio Pantoum – dessen Name sich wohl auf die entsprechend betitelten Sätze in den Klaviertrios von Saint-Saëns und Ravel bezieht – und setzte mit roten Socken zum schwarzen Anzug gleich einen optischen Akzent. Das Geister-Trio geriet schlüssig, da die Tempi konstant gehalten wurden. Da an allen Pulten gleich stark besetzt, ergab sich ein fülliger, jedoch immer transparenter Ensembleklang. Kaolin erfuhr auch hier eine spannend erzählte Interpretation.
Das Arabesque Trio glänzte mit dem bis zu diesem Zeitpunkt klanglich gerundetsten Geister-Trio. Leider war das Tempo im Lento alles andere als konstant. Die Vierundsechzigstel wirkten im Vergleich zum Anfangstempo eher wie Zweiunddreißigstel. Das mag zwar romantisch sein, jedoch ist Beethovens Notation in diesem Satz außerordentlich präzise. Kaolin geriet eher ereignislos.
„Jetzt nochmal Geister-Trio und ich kann das Stück die nächsten zwei Jahre nicht mehr hören“, so dachte ich, als das Amelio Trio nach Sonderapplaus für den treuen Umblätterer an den Start ging. Doch gelegentlich geschehen Wunder! Der Kopfsatz schwang, hatte soviel Energie, dass die ermüdeten Zuhörer wieder munter wurden. Das Lento war wie aus einem Guss. Der Humor des Finales erfreute einfach. Dazu noch ein wirklich spannend und intensiv gestaltetes Kaolin. Das Publikum dankte mit dem stärksten Applaus des Tages für diese künstlerisch wirklich absolut hochklassige Leistung.
An der Entscheidung der Jury, die Trios Orelon, Pantoum und Amelio im Finale gegeneinander antreten zu lassen, gibt es nichts zu kritisieren. Alles richtig gemacht!
Thomas Baack (08.09.2023)