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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Klassik in Skulptur und Klang

Semifinale des ARD-Musikwettbewerbs 2023 im Fach Viola

Ich staune bei jedem ARD-Wettbewerb, wie groß die Anziehungskraft der europäischen Musik auf Interpreten aus China, Taiwan, Japan und Korea ist. So kamen von den 46 Teilnehmern der Erstrunde 26 aus Südostasien, davon haben es neben einem Spieler aus den USA, zweien aus Europa sogar drei in die Vorschlussrunde geschafft. Dort haben die Probanden der Instrumentalfächer ein klassisches Konzert mit Kammerorchester ohne Dirigenten und die jeweilige Auftragskomposition zu bewältigen. Bei den Konzerten konnte im Fach Viola zwischen Franz Anton Hoffmeisters und Carl Stamitz‘ D-Dur-Werken gewählt werden. Als weiteres Werk war Mozarts berühmtes Klarinettenkonzert zugelassen, das sich übrigens auf der Bratsche erstaunlich gut macht.

Bratscher als Speerträger

Der diesjährige Kompositionsauftrag erging an den Spanier Alberto Posadas (Jg.1967). Dieser schrieb darauf das neuneinhalbminütige Doryphóros (Der Speerträger), das Bezug auf eine modellhafte Statue des antiken Bildhauers Polykleitos nimmt, der auf diesem Wege seine Lehre von den idealen Proportionen des menschlichen Körpers demonstrierte, die er in seinem theoretischen Werk „Canon“ beschrieben hatte. Da Zahlenreihen und Proportionen Alberto Posadas immer zum Komponieren inspiriert haben, fand er auf diese Weise ein ideales Sujet für eine hochvirtuose Konzertetüde, deren zentrale Idee ein toccatenhaftes Perpetuum mobile ist, das immer wieder von Ereignissen, seien sie stilistisch spätromantischer oder auch avantgardistischer Natur, unterbrochen wird. Eingerahmt wird es durch eine Introduktion und eine abschließende Kadenz. Das Ganze ist extrem virtuos mit Flageolett-Doppelgriffen, Bogentechniken, die ein flirrendes Spiccato und auch Ricochets vorsehen, aber niemals gegen das Instrument geschrieben. Wäre es etwas kürzer, könnte es sich als überraschendes, traditionell notiertes Zugabestück in Herzen und Repertoire virtuoser Violisten spielen.

Ohne Leidenschaft

Kyungsik Shin aus Südkorea wählte das Hoffmeister-Konzert, das ihm offensichtlich nicht viel Spaß bereitete. Somit blieb die Interpretation technisch zwar gekonnt, aber brav und impulsarm, was sich dann ebenfalls auf das Münchener Kammerorchester auswirkte. Zudem ist sein Ton eher klein und etwas matt. Der Auftragskomposition vermochte er auch nicht viel Leben einzuhauchen.

Njord Kårason Fossnes aus Norwegen wagte sich als einziger an das Klarinettenkonzert von W. A. Mozart. Er kommunizierte seine Auffassung erfolgreich an die exzellente Konzertmeisterin Yuki Kasai, sodass plötzlich eine Einheit entstand, die ein genaues Zuhören geradezu einforderte. Die Musik floss und berührte dadurch so intensiv, dass man ein paar kleine intonatorische Schludrigkeiten gern überhörte. Dass er nach Doryphóros vom Publikum zweimal herausgerufen wurde, war der Dank für seine klangschöne Darbietung.

Eine echte Virtuosa

Mit Haesue Lee aus Südkorea betrat eine echte Virtuosa die Bühne und erfreute mit sehr großem, dabei rundem und warmen Ton. Bei ihr wirkt die Bratsche wie eine natürliche Erweiterung des Körpers. Sie hatte am Hoffmeister-Konzert ganz offensichtlich Spaß und tanzte sich mit dem höchst inspirierten Orchester durch die launig-heitere Komposition. Die Perpetuum-mobile-Abschnitte von Doryphóros bot sie noch farbreicher und feiner artikuliert als ihre Vorgänger.

Brian Isaacs aus den USA wählte das Stamitz-Konzert und absolvierte es technisch ordentlich, wenngleich in der Phrasierung etwas lahm – so wie man „Klassik“ halt vor Harnoncourt interpretierte – und mit mattem, wenig attraktivem Klang. Vielleicht hatte sein Instrument heute ganz einfach keine Lust auf Musik. Die Kadenzen wirkten langatmig und auch das Orchester gab sich nur mäßig bemüht.

Kunstvolle Phrasierung

Dies änderte sich schlagartig als Takehiro Konoe aus Japan die Bühne betrat. Der wollte etwas ausdrücken, was ihm im Hoffmeister-Konzert auch hervorragend gelang. Tonschön, wunderbar Spannung aufbauend und wieder lösend, bereitete seine kunstvolle Phrasierung große Freude. Die Kadenzen hatten Spannung, die Ornamente wurden ziseliert und mit tollem Timing in die Linie eingebunden. Auch Doryphóros gelang sehr präzise und interpretatorisch überzeugend.

Als man dachte, dass jetzt nicht mehr viel kommen könne, kam der deutsche Teilnehmer Ionel Ungureanu und schoss mit dem Stamitz-Konzert den Vogel ab. Mit unglaublicher Musizierlust trieb er das Münchener Kammerorchester nochmals zu einer Höchstleistung an. So souverän, gestochen und dabei von selbstverständlicher Lässigkeit hört man die vertrackten Triolenstellen und Terz-Doppelgriffe nur ganz selten. Und was macht er in den Kadenzen? Spielt eigene, hochvirtuose, an Eugene Ysaÿes sechs Sonaten gemahnende! Klar, dass er auch den Doryphóros brillant hinlegte.

Die Jury war in der Tat nicht zu beneiden. Klare Finalisten sind Haesue Lee und Ionel Ungureanu. Zwischen Takehiro Konoe und Njord Kårason Fossnes möchte auch ich nicht entscheiden müssen. So wundert es nicht, dass um 0:05 Uhr immer noch kein Ergebnis feststand. Erst um 0:20 Uhr kam die Nachricht, dass Takehiro Konoe zur Finalteilnahme gratuliert werden darf, was bedeutet, dass wir am Sonntag, 10. September, zweimal das Konzert von William Walton und einmal dasjenige von Béla Bartók zu hören bekommen.

Thomas Baack (09.09.2023)

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