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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Unanfechtbar zum Sieg

Finale des 72.ARD-Musikwedttbewerbs 2023 im Fach Viola

Für das Finale mit großem Orchester standen drei Werk-Varianten zur Auswahl, die alle eng mit bedeutenden Bratschern des 20. Jahrhunderts verknüpft sind. Béla Bartók konnte im Todesjahr 1945 sein von William Primrose beauftragtes Violakonzert nicht mehr selbst vollenden. Er hinterließ eine 16-seitige Skizze mit dem vollständigen Solopart und nur im Particell angedeuteter Orchesterbegleitung. Diese wurde dann von Tibor Serly vollendet, worauf in jüngerer Zeit weitere Bearbeitungen folgten, sodass heute mehrere Fassungen – darunter auch eine vom Jury-Vorsitzenden Lars Anders Tomte – zur Verfügung stehen.

Der Adressat des Konzerts von William Walton, Lionel Tertis, konnte sich für das Werk zunächst nicht erwärmen, weshalb Paul Hindemith den Solopart bei der Uraufführung übernahm, was Tertis dann auch überzeugte, das Werk in sein Repertoire aufzunehmen. Hindemiths „Der Schwanendreher“ wäre die leider von den Finalisten verschmähte dritte Option gewesen.

Lautes Orchester – unsensibler Dirigent

Ionel Ungureanu aus Deutschland eröffnete das Finale mit Bartók. Er sang auf seinem Instrument und gewann ihm besonders im Piano und Mezzoforte betörende Klänge ab. Die balkanisch-folkloristischen Rubati gelangen ihm auf den Punkt. Leider waren die robusten Passagen nur perfekt, wenn sie offen lagen. Gegen das heute zwei Klassen unter gewohntem Niveau agierende BR-Sinfonieorchester, das von dem wohl mit dem Saal wenig vertrauten Andrew Grams zum Lärmen angeleitet wurde, hatte er jedoch keine Chance. Mag sein, dass seine Tongebung für Saal und Akustik zu wenig Tragfähigkeit besitzt. Eher sehe ich die Schuld hier beim Dirigenten. Schade, dass es so nur der dritte Preis wurde.

Ebenfalls einen dritten Preis erhielt an den Japaner Takehiro Konoe, der sich bereits 2018 einen dritten Preis erspielt hatte. Er wählte das Walton-Konzert und betonte mit schönem, abgerundetem Klang dessen lyrische, in der englischen Musik des Frühbarock verankerten Aspekte. Das Werk klingt deshalb so ungemein britisch, weil Walton – wie auch seine Zeitgenossen Ralph Vaughan Williams, Herbert Howells und Gerald Finzi – auf eine modale Harmonik und eine von den Fantasien Henry Purcells inspirierte Kontrapunktik setzt. Das kratzbürstige Scherzo, in dem Strawinsky grüßen lässt, hätte durchaus mehr Energie vertragen können. Der lange Finalsatz verlor unterwegs so viel an Spannung, dass ich kurz vorm Einnicken war.

Spannungsvoller Zugriff

Dass das Walton-Konzert einen spannungsvolleren, energischeren Zugriff gut verträgt, demonstrierte dann Haesue Lee aus Südkorea. Wenn man das Publikum vom ersten Ton an derart souverän zum Zuhören zwingt und die Bratsche gleichsam zur natürlichen Extension des Körpers wird, kann es dafür nur einen ersten Preis geben – sowie auch den Publikumspreis. Zumal auch dann, wenn man dazu noch mit erst 23 Jahren wesentlich jünger als die Konkurrenten ist. Haesue Lee lebte wirklich in dem Stück, konnte mit ihrer Körpersprache Dirigent und Orchester endlich zum Zuhören animieren und kam deshalb mit ihrem voluminösen tragfähigen Ton perfekt über deren Klangwogen. Dieser Sieg dürfte der Anfang einer großen Karriere sein. Gratulation und Dank für zwei wundervolle Konzerterlebnisse in Semifinale und Finale!

Mich stört an der Jury-Entscheidung, dass Ionel Ungureanu mit einem dritten Preis erheblich unter Wert beurteilt wurde. Er hätte den zweiten Preis für seinen beachtlichen Bartók und den perfekten Stamitz im Semifinale absolut verdient gehabt. Allerdings müsste man fairerweise hierzu die Leistungen der beiden Träger des dritten Preises in den ersten beiden Durchgängen nochmals sorgfältig gegeneinander abwägen.

Thomas Baack (11.09.2023)

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