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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

Ein Fenster zu...

Hugo Wolf

Hör-Tipps anhand von ausgewählten Werken

Besonders klug war es nicht, sich als junger Komponist auf einen der anerkanntesten Kollegen einzuschießen. Hugo Wolfs Angriffe auf Johannes Brahms, die er als Kritiker des „Wiener Salonblatts“ veröffentlichte, führten denn auch dazu, dass ein Dirigent wie Hans Richter absichtlich eine Uraufführung zugrunde dirigierte. Doch für Wolf, den Anhänger der Neudeutschen, gab es da, trotz bisweilen aufblitzender Ironie, keine Halbheiten. Ebenso kompromißlos war er als Komponist; er leitete, wie er gegenüber Freunden sehr drastisch formulierte, förmlich seine Daseinsberechtigung aus seiner Tätigkeit ab. Dementsprechend müssen die Zeiträume zwischen den Phasen manischer Depression, in denen er nichts zu Papier brachte, quälend gewesen sein. Zusätzlich zur unbeständigen psychischen Lage machten Wolf die Spätfolgen einer ungenügend behandelten Syphilis zu schaffen; die letzten Jahre verbrachte er in geistiger Umnachtung.

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Das Lied und sein Roman

Natürlich war dieses schwierige Leben dazu angetan, Wolf für die Außenwelt zu einem tragischen, aber in seiner Einsamkeit typischen Genie zu machen. Es ist interessant, dass Wolf diesen Eindruck korrigieren wollte, indem er sich in seiner Eigenschaft als Komponist als dienend bezeichnete. Wenn er über den größten Teil seines Schaffens, das dem Lied gewidmet ist, sprach, bezeichnete er sich als „objektiven Lyriker“. Das Gedicht als Objekt hat für Wolf hohen Wert, und in vielen seiner Briefe wird deutlich, wie Wolf versuchte, sich die Gedichte anzuverwandeln, sie nachzufühlen. Im Falle der berühmten Vertonungen der Harfenspieler-Lieder nach Gedichten aus dem Wilhelm Meister von Goethe kann man den Respekt vor dem Gedicht schon daran ablesen, wie sich Wolf zu seinen berühmten Vorgängern, vor allem Schubert und Schumann, verhält. Er setzt sich nämlich von ihnen ab – und rückt dafür um so näher an das Gedicht heran. Während Schubert etwa das erste Gedicht Wer sich der Einsamkeit ergibt einer Melodie anvertraut, erinnert sich Wolf an den Romankontext: Der Harfner trägt dort deklamierend, fantasierend vor, und Wolf reagiert auf diese Situation. Das Vorspiel des Klaviers präludiert mit Arpeggien wie eine Harfe, und auch der Gestus des Rhapsodischen ist eingefangen. Der zweite Akkord ist harmonisch gesehen ein Fremdkörper, erscheint fantasierend, frei.

Und als die Romanfigur dann zu singen anfängt, beginnt sie keine Melodie, sondern rezitiert den Text sehr natürlich. „Einsamkeit“, das Schlüsselwort, fällt dabei auf den fremden Akkord des Vorspiels. Auch der bewegtere, hellere Mittelteil führt wieder in das hoffnungslose Präludieren des Anfangs. Wolf hält aber noch eine Überraschung bereit: Er endet nicht mit der Grundtonart, sondern mit der Dominante, auf der auch der Mittelteil mit seiner Reminiszenz des Liebenden gestanden hat. So ist offen, ob die Ausweglosigkeit wie in einem Perpetuum mobile wiederkehrt, oder die bewegte Vision des Mittelteils Erlösung verspricht. Es ist, als ob man nicht nur dem Gedicht lauschte, sondern implizit auch die Romanhandlung vorhanden wäre.

Auch wenn Wolf gleichsam kleine Opern inszeniert – in der Zeitspanne eines Liedes – er verleugnet den Liedcharakter nie. Eine Fülle von solchen feinsten Zwittergebilden aus Lied und Drama findet sich in der Sammlung Spanisches Liederbuch, das in einen geistlichen und einen weltlichen Teil zerfällt. Die weltlichen Lieder sind oft reizend und anmutig – anmutig wie jene La Marionetta, die in Wer that deinem Füßlein weh? aufgeregt ihre kleine Geschichte erzählt. Der Schmerz, der so lebhaft empfunden wird, liegt wohl in der unruhigen Melodie, die im Klavieralt herumgeistert. Der imaginäre Sprecher, der Marionetta nach ihrer Aufgeregtheit fragt, mündet sozusagen beruhigend in eine Kadenz, wenn er sie mit ihrem Namen Marion anspricht. Doch diese ist aufgeregt, ihre Antwort mäandert durch die Tonarten: Dornen und Stachel und ein Nelkenspan haben sie zerstochen. Diese Verletzungen sind die drei winzigen Strophen, die den kleinen Dialog strukturieren. Das „bedeutend langsamere“ Tempo, mit dem der männliche Wundarzt der schönen Dame antwortet, zeigt, wie federleicht erotisch er sein Heilungsversprechen meint. In kaum zwei Minuten verschmilzt Wolf Miniaturoper und Lied – feiner kann man musikalisch nicht erzählen.

Der objektive Dichter spricht

Neben Goethe hat Wolf auch Eduard Mörike sehr geschätzt. Wenn man sich Wolfs Abneigung gegenüber Halbheiten vergegenwärtigt, erstaunt es, wie bescheiden er das Gebet vertonte, das sein Heil in der „Mitten“ sucht. Doch der choralartige Gestus ist, daran läßt Wolf letztlich keinen Zweifel, aus Respekt vor dem Gedicht von ihm inszeniert. Für die Begleitung wählt Wolf noch vor dem Einsatz der Singstimme jenen Rhythmus aus einem langen und zwei kurzen Werten, der im Spanischen Liederbuch die bohrende Konzentration der geistlichen Texte ausdrückt – dies ist ein also flehendes, meditatives Gebet, kein gemütvoll-harmloses. Und bezeichnend ist auch der Moment, an dem das Klavier seine begleitende Funktion aufgibt. Noch vor dem Passus, der sich für die goldene Mitte ausspricht, beginnt „zart und ausdrucksvoll“ eine Melodie im Klavierdiskant, die sich über expressive Intervalle in geradezu idealistische Höhen hinaufschraubt. Gerade, wenn sich die Singstimme „bescheidet“, erreicht die Melodie, die sich keineswegs bescheidet, ihren träumerischen Höhepunkt – ist das ein Gegenbild zum Text oder die Überhöhung der Bescheidenheit? Man darf auch beim „objektiven Lyriker“ Wolf seine Subjektivität nicht unterschätzen.

Zweimal Handlung

Ursprünglich hatte Wolf, der keinesfalls nur als Liederkomponist wahrgenommen werden wollte, vor, eine mehrsätzige Italienische Serenade zu schreiben. Dabei hat der einzige Satz der Italienischen Serenade eben soviel mit Italien zu tun wie mit dem Dichter Eichendorff in der Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts, die Wolf gut gekannt hat. Ohne diesen literarischen Bezug überstrapazieren zu wollen, kann man dieses witzige Stück kaum hören, ohne eine musikalische Erzählung zu vernehmen: Die Handlung ist vielleicht, dass die erste Geige, die wie selbstverständlich das Thema vorgestellt hatte, Konkurrenz von den anderen Spielern bekommt. Sie wollen eben auch mitmachen, wie etwa die zweite Geige, die sich zunehmend ins Geschehen mischt und auch das Thema anstimmt. Auch die Viola tritt hinzu, und das Cello erklärt sich in einem großartigen Rezitativ. Die allgemeine Verwirrung äußert sich darin, dass die Tonarten unklar werden. Das scheinen alle einzusehen: Bei der Reprise halten sich alle ein wenig zurück.

Wenn man solchermaßen eine zugegeben abstrakte Handlungsebene schon in der Instrumentalmusik zeigen kann, müßte man dann nicht auch eigentliches theatralisches Talent bei Wolf vermuten? Seine einzige vollendete Oper Der Corregidor, eine Tragikomödie nach der spanischen Novelle Alarcons, vermischt Lyrisch-Episches mit packender Theatralik. Es werden zwar viele Lieder gesungen, aber wenn Wolf szenisch denkt, ist die Wirkung ungeheuer. Wenn sich die junge, hübsche Frasquita in der vierten Szene des zweiten Aktes auf einmal vom alten, verliebten Corregidor bedrängt sieht – ihr Mann wurde zu einer „Zeugenvernehmung“ geladen –, verläßt die Musik sogar den Komödienton und nimmt die Situation ernst. Das pompöse Motiv des alten Beamten ist häßlich verzerrt, wird überredend, um Frasquita herumzukriegen, schließlich gar verführerisch. Diesen Variationen des Leitmotivs des Alten setzt Frasquita ihre Abwehrversuche entgegen, die jedesmal anders gestaltet sind: Während der Corregidor seinen Druck verstärkt, weicht Frasquita nach allen Seiten aus. Als der Alte mit der Pistole droht, findet er eine ebenbürtige Gegnerin. Doch Frasquita hat die Oberhand – ihr Gewehr ist deutlich größer als seine Taschenpistole. Mit der Darstellung einer solchen Frauenrolle zeigen Wolf und seine Librettistin Rosa Mayreder-Obermayer zu Zeiten der Opernsoubretten eine mutige und unkonventionelle Frau. Wolfs Oper ist hier frappierend modern. Die radikale Kritik an den Konservativen, die ihm persönlich so sehr schadete, ist hier ins Visionäre getrieben.

Prof. Michael B. Weiß

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01.02.2001
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15.01.2004
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Voces Intimae / cpo
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