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Kompass

Ritter von der traurigen Gestalt

Strauss • Ravel • Ibert • Gerhard

Don Quixote de la Mancha (1605-1616) von Miguel de Cervantes ist nicht nur eine der populärsten Gestalten der Literatur. Es gibt auch kaum eine andere Figur, die über die Jahrhunderte von so vielen Komponisten vertont wurde. Weit über 50 Werke verschiedenster Art und für alle möglichen Besetzungen gibt es über den Ritter von der traurigen Gestalt, von Purcell und Telemann bis hin zu Manuel de Falla und Joaquin Rodrigo. »KLASSIK HEUTE« hat vier maßgebliche Orchestervertonungen des 20. Jahrhunderts ausgesucht, die gleichwohl mit unterschiedlichen Formen der Vorlage gerecht werden möchten.

Richard Strauss (1864-1949)

Der junge Richard Strauss nannte sein 1897 komponiertes Werk Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters. Über die literarische Vorlage schwieg er sich freilich bis nach der Uraufführung aus, die Franz Wüllner am 8. März 1898 in Köln dirigierte. Zehn Tage später führte Strauss das Werk selbst in Frankfurt auf und schrieb nach der Aufführung an seine Eltern, Don Quixote habe ihm „großen Spaß gemacht. Er ist sehr originell, durchaus neu in den Farben und eine recht lustige Vorführung aller Schafsköpfe, die's aber nicht gemerkt, sondern noch darüber gelacht haben.“ Anderswo erkannte man die Publikumsbeschimpfung durchaus. Nach einer Pariser Aufführung schrieb Romain Rolland: „Die Leute sind außer sich über das Blöken der Schafe; sie glauben, man wolle sich über sie lustig machen und bringe ihnen nicht die gebührende Achtung entgegen. Allgemeines Geschrei: ,Das ist gemein!’ Dem spöttischen und verschlafenen Strauss scheint alles gleichgültig zu sein...“ Heute ist Don Quixote eins der beliebtesten Werke von Strauss und bietet auch einem Solo-Cellisten genug Gelegenheit, sich von seiner besten Seite zu zeigen.

Maurice Ravel (1875-1934)

Die Drei Chansons von Don Quixote und Dulcinea sollten das letzte vollendete Werk von Maurice Ravel bleiben. Die Ironie des Schicksals wollte es, daß das letzte der drei Lieder nach Texten von Paul Morand ausgerechnet ein Trinklied auf die Freude und zugleich sein Schwanengesang werden sollte. Gedacht waren die Lieder für einen Film von Georg Wilhelm Pabst mit Fjodor Schaljapin in der Titelrolle. Der bereits erkrankte Komponist begeisterte sich für den deutschen expressionistischen Film und ging noch mit Freude an die Arbeit. Als sich abzeichnete, daß er den Abgabetermin wegen seiner Krankheit nicht einhalten konnte, wurde der Auftrag allerdings an Jacques Ibert weitergegeben. Ohnehin hatten die Produzenten bei etlichen anderen Komponisten angefragt (de Falla, Milhaud und Marcel Dellanoy). Später konnte Ravel das Werk noch fertigstellen. Es wurde am 1. Dezember 1934 vom Orchestre Colonne unter Paul Paray uraufgeführt; es sang Martial Singher.

Jacques Ibert (1890-1962)

Als Ibert 1932 den Auftrag für die Don Quixote-Lieder von Ravel übernahm, wählte er andere Textvorlagen (Arnoux, Ronsard). Es kamen schließlich vier Lieder zustande, die wesentlich zu Iberts Bekanntheit beitrugen. Er selbst dirigierte die Ersteinspielung mit Schaljapin am 13. März 1933. Das Album wurde ein Bestseller, der Film ein Erfolg, und den Komponisten ließ das Thema nicht mehr los. Bereits ein Jahr später beauftragte Ida Rubinstein den Komponisten mit einem Tanztheaterstück mit Elementen aus Schauspiel, Oper und Ballett. Le Chevalier Errant, ein bald einstündiges Stück, wurde 1935 uraufgeführt, ist allerdings kaum bekannt geworden, obwohl es sich um eines der innovativsten Bühnenwerke des 20. Jahrhunderts handelt. Der Text stammt von Alexandre Arnoux, wie auch bereits drei der vier Chansons. 1947 schrieb Ibert für eine Rundfunkfeier zum 400. Geburtstag von Cervantes sogar noch ein weiteres kurzes Stück, eine Sarabande für Dulcinea.

Roberto Gerhard (1896-1970)

Auch der spanische Komponist Roberto Gerhard hat sich mehrmals mit dem Don Quixote-Stoff auseinandergesetzt: Aus dem ursprünglichen Ballett in zwei Akten (1940) extrahierte er 1941 eine Suite für kleines Orchester. 1944 verwendete er Material daraus für die Musik zu einem siebenteiligen Hörspiel von Eric Linklater. 1947 wurde in Kopenhagen eine Sinfonische Suite aus Don Quixote erstaufgeführt, und seine Endgestalt bekam das Werk wiederum als Ballett. 1950 wurde es von Ninette de Valois choreographiert und kam in Covent Garden heraus. Die Hauptrollen tanzten Margot Fonteyn und Robert Helpmann, aber die Briten schätzten derlei nicht. Nach einer Amerika-Tournee wurde das Werk abgesetzt und verschwand völlig, bis es 1991 erstmals in vollständiger Form für CD eingespielt wurde. Zehn Jahre später wartet Gerhards Don Quixote meines Wissens immer noch auf eine neue Bühnenproduktion...

Don Quixote, Sancho Pansa und Dulcinea

Die vier Werke finden unterschiedliche Seiten in den drei Haupt-Charakteren (das getreue Pferd Rosinante wollen wir hier einmal ausklammern). Strauss gestattet sich den Luxus einer ausgedehnten „Es war einmal“-Einleitung, bevor er das Don Quixote-Hauptthema im Solo-Cello erklingen läßt – edel, ein bißchen bockig, verträumt und skurril gleichermaßen. Viele Solo-Instrumente konzertieren hier miteinander, um den Facettenreichtum der Figur abzubilden. Freilich klang dieses Thema in einer leichten, hellen Variante der Holzbläser und Streicher bereits zu Beginn der Einleitung an. Der Knappe Sancho Pansa ist ein kleiner Mann, dessen Beine beim Reiten fast auf dem Boden schleifen. Seine Funktion als Begleiter seines Herrn spiegelt sich bei Strauss in der Instrumentierung: abgesehen von einer Solobratsche paart er immer mehrere Instrumente miteinander; das Sancho-Thema etwa wird von Klarinette und Tuba gemeinsam gespielt.

Roberto Gerhard kannte die Vorlage von Strauss; er bezieht sich in seinem eigenen Hauptthema des Helden direkt auf ihn (gedämpfte Trompete). Sancho Pansa ist bei ihm gleichfalls ein kecker Bursche, charakterisiert durch Holzbläser-Soli.

Ravel spart Sancho Pansa ganz aus und konzentriert sich auf drei Seiten des Don Quixote: Das erste Lied meint den Liebhaber, das zweite den Ritter und das dritte den Trinker. Für jedes Lied ist ein Tanz charakteristisch: Der Taktwechsel der Quajira drückt den Eifer aus, mit dem Don Quixote seiner angebeteten Dulcinea ausmalt, welche Taten er für sie vollbringen will. Der baskische Zortzico ist ein Schreit-Tanz. Don Quixote erfleht mit ihm im zweiten Lied den Segen für sein Schwert. Das Trinklied ist schließlich eine Jota, einer der bekanntesten spanischen Tänze. Dulcinea del Toboso selbst bleibt musikalisch verhältnismäßig vage. Sie ist ja nur ein Ideal, in das sich Don Quixote verliebt hat. Dementsprechend thematisieren alle Werke Dulcinea vor allem durch Don Quixotes Gefühle und zeichnen sie nicht als reale Person.

Im ersten und dritten seiner Lieder, die Dulcinea ansingen, verwendet Ibert ebenfalls spanische Tanz-Rhythmen. Die Verwendung einer Pavane als Musik der Prinzessin Dulcinea im ersten Lied ist vielleicht eine Anspielung auf Ravels berühmtes Werk, erinnert aber auch an Gabriel Fauré, während im dritten Lied eine Zarzuela anklingt. Im Ballett klammert Ibert Dulcinea weitgehend aus. Auch Strauss benennt Dulcinea nicht ausdrücklich. Nur Roberto Gerhard beleuchtet die Dulcinea-Problematik als einziger auch musikalisch schlüssig. Er deutet nämlich Dulcinea als Mythos; in Wirklichkeit war Don Quixote einmal mit einer gewissen Aldona Lorenza zusammen gewesen, wohl einer Prostituierten. Als er sich in seine Traumwelten flüchtete, verklärte er diese Frau durch die Figur der Dulcinea. Dies ist eine der tragenden Säulen in Roberto Gerhards Ballett. Ganz zu Beginn gibt er Dulcinea eine traurige Melodie des Englischhorns. Ganz am Ende, in der Verklärung des Don Quixote und dem Moment der Selbsterkenntnis, taucht diese Melodie wieder auf.

Stationen eines Ritterlebens

Die anderen Werke bleiben weitgehend an der Oberfläche, ergehen sich in einer detaillierten Beschreibung der einzelnen Vorkommnisse und zeigen, was sie jeweils aus dem Helden machen. Die Chansons von Ravel und Ibert sind hier natürlich nicht so ergiebig. Die drei epischen Werke unterscheiden sich in den Einzelheiten allerdings beträchtlich voneinander und vom Original. Diesen Vertonungen gemeinsam sind an sich nur der Kampf mit den Windmühlen, die Befreiung der Galeerensklaven, die Vision vom Goldenen Zeitalter und Don Quixotes Tod. Davon möchte ich die erste und letzte Szene herausgreifen: Mit dem sprichwörtlichen Angriff auf die Windmühlen setzt in allen drei Werken die eigentliche Handlung ein. Bei Strauss gibt es eine Menge von Orchestereffekten, etwa einzelne Paukenschläge oder das Schlagen der Streicher mit dem Bogenholz auf die Saite. Nach dem vergeblichen Kampf klingt Wagners Siegfried an, doppelt bezogen auch auf das Hauptthema der Dante-Sinfonie von Liszt, wo es heißt: „Laßt alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet.“ Ibert baut zu Anfang harsche Tontrauben als Symbole der Maschinenmacht und läßt die Handlung anschaulich vom Chor beschreiben – fast in Form eines griechischen Tragödienchors. Die Frustration Don Quixotes drückt sich wunderschön in Schreien und Rufen des Chores aus, später durch hysterische Hornsoli, bevor der Held geschlagen zusammensinkt – eine Reminiszenz an den Schluß von Honeggers Orchestersatz Pazific 231, als die Dampflok zum Stehen kommt.

Ohne Chor, aber sonst mit ähnlichen Mitteln, drückt Gerhard den vergeblichen Zweikampf aus – eine lange Steigerung, die zunächst verhalten mit Holzbläsern über bedrohlichen Paukenschlägen beginnt und immer vehementer wird. Trompetenstöße markieren die immer heftigeren Attacken Don Quixotes, während die tiefen Orchesterinstrumente gelassene Haltetöne spielen: Die Windmühlen kann nichts erschüttern. Lautmalerisch verfängt sich der Ritter mit seiner Lanze in einem Windmühlenflügel und wird schließlich in einem Glissando des ganzen Orchesters zu Boden geworfen. Die Schlußszene nennt Ibert tatsächlich „die Verklärung des Don Quixote“. Sie beginnt mit einem magischen Horn- und Englischhorn-Solo, klassischen Instrumentalfarben von Wehmut und Trauer, gefolgt von einem stürmischen Allegro. Im Schlußchor mit seinen prozessionsartigen Trauermarsch-Rhythmen klingt unüberhörbar die Te-Deum-Szene aus Puccinis Tosca an, bevor Glockentöne eine fast schon kindliche Ebene erreichen. Don Quixote ist ein wahrer, unsterblicher Volksheld geworden. Das Werk endet in himmlischem Jubel.

Strauss beginnt das Finale mit einem sehnsuchtsvollen, langsamen Schwanengesang, auch hier gefolgt von Trauermarsch-Elementen, in die sich die burlesken Volkston-Anklänge einschleichen, bevor das Werk in ruhigen Dur-Klängen schlicht zu Ende kommt. Auf psychologischer Ebene ist Roberto Gerhard vielleicht die tiefsinnigste rein orchestrale Don Quixote-Vertonung gelungen, denn er versucht als einziger auch in den musikalischen Mitteln zu ergründen, was Don Quixote letztlich zu seinen Visionen und Scheingefechten geführt hat. Ibert kommt mit den Mitteln des gesprochenen und gesungenen Wortes zu ähnlichen Ergebnissen. Damit kann das eher pittoreske Orchesterwerk des jungen Strauss am wenigsten mithalten: die an sich für eine Figur wie Don Quixote erforderlichen musikpsychologisch-dramatischen Fähigkeiten und Gestaltungsmittel hat Strauss wohl erst in den späteren Opern entwickelt.

Dr. Benjamin G. Cohrs

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