MD+G 613 0791-2
2 CD • 2h 12min • 2000
01.12.2001
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Wie breit darf der Zeitkeil zwischen zwei musikalischen Ereignissen sein, damit diese gerade eben noch als zusammengehörend empfunden werden können? Diese Frage nach dem Zusammenhang von Klang und Zeit, nach makrorhythmischen Strukturen, die die Stille zum Normalzustand und den Klang zur Ausnahme machen, geht an die Grenzen der Wahrnehmung und relativiert den Kunstbegriff. Denn in den Ereignislöchern tritt plötzlich die akustische Umgebung mit auf den Plan. Das Unkalkulierbare des Zuschauerraumes im Konzert, der Raumakustik rund um die heimische Stereoanlage, vorbeifahrende Autos, knallende Türen, plärrende Kinder, der Brüllwürfel in der Nachbarwohnung - all das wird kalkulierter Bestandteil der Musik, erhält durch sie eine verstörende Künstlichkeit. Derlei mystische Sparsamkeit beherrscht viele der späten Klavierwerke von John Cage, und diese nur vordergründige Ereignisarmut auf CD zu pressen, ist ein ziemlich kühnes Unterfangen.
Steffen Schleiermacher, dessen monumentale Gesamteinspielung der Klavierwerke des exzentrischen Vogel- und Pilzkenners langsam aber sicher der Vollendung entgegengeht, hat es gewagt. Und er hat eine Doppel-CD aufgenommen, die in ihrer bezaubernden Stille zum Schönsten gehört, was seit langer Zeit auf dem überbordenden Tonträger-Markt erschienen ist. Weil der Leipziger Komponist, Dirigent und Ausnahme-Pianist sich eben nicht so sehr auf die metaphysischen Urgründe von Cage stürzt, sondern auf deren sinnliche Umsetzung. So dauert bei ihm ASLSP eben nicht 639 Jahre, wie die unlängst in Halberstadt gestartete kühne Orgel-Version. Schleiermacher kommt mit knapp 17 Minuten aus. Und zunächst könnte man meinen, es ginge durchaus noch viel langsamer.
Aber für Steffen Schleiermacher sind nicht die Gegebenheiten des Instrumentes oder die der Akustik oder die des Vorstellbaren ausschlaggebend, sondern die des Menschlichen: Was nutzt die erhabenste Langsamkeit, wenn sie niemanden mehr erreicht? Oder anders gefragt: Ist Musik noch Musik, wenn sie sich im Spekulativen einer noch so brillanten Idee verzettelt? Schleiermacher beantwortet diese Frage mit einem unmißverständlichen "Nichts!".
Doch Cage wäre nicht Cage und Schleiermacher wäre nicht Schleiermacher, würde auf den beiden prallvollen Silberlingen nicht auch eine ordentliche Portion Humor Platz haben. The Beatles 1962-70 beispielsweise ist eine hinreißend augenzwinkernde Studie über die bemerkenswerte Kraft des Alltäglichen, und was Schleiermacher ansonsten in beispielsweise den verschiedenen Versionen von One an Vorgefundenem unterbringt, ist mit seinem Schalk allein schon eine weite Hörreise wert. Die Aufnahmequalität ist vom Allerfeinsten.
Peter Korfmacher [01.12.2001]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
John Cage | ||
1 | One2 für 1-4 Klaviere | |
2 | One | |
3 | Etudes Boreales für einen Percussionisten am Klavier | |
4 | The Beatles | |
5 | ASLSP | |
6 | One2 (2. Fassung) | |
7 | One5 |
Interpreten der Einspielung
- Steffen Schleiermacher (Klavier)