BIS BIS CD 1337/1338
2 CD • 1h 59min • 2002, 2003
16.04.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Seit einigen Jahren ist eine Wiederentdeckung des norwegischen Komponisten Geirr Tveitt (1908-1981) im Gange, getragen von den Firmen BIS und Naxos. Und wie im Falle der riesenhaften Gesamteinspielung des Werks von Jean Sibelius mit dem Sinfonieorchester aus Lahti, so scheint jetzt das Stavanger Sinfonie-Orchester ein umfangreiches Engagement in Sachen Tveitt eingegangen zu sein. Von den verschiedenen bisher erschienenen Aufnahmen ist die vorliegende die spannendste.
Baldur’s Träume war ein Projekt, das Tveitt immer wieder beschäftigte. Wie auch andere Komponisten war er auf der Suche nach einer nationalen norwegischen Tonsprache auf der Basis der Volksmusik, der Sagen und der altnordischen Mythologie: Die Basis für Baldur’s Träume bildet die Edda. Für seine Vorstellung von der alten Klangsprache entwickelte Tveitt ein eigenes Tonsystem, das auf pentatonischen Skalen beruht und der Musik einen archaischen Eindruck verleiht.
Baldur’s Träume ist ein »Spiel für Tanz und Orchester« in drei Akten sowie für Sänger und einen Rezitator. Dabei geben die Sänger nur Vokalisen von sich, aus gutem Grund: Lange bevor 1970 ein Feuer in Tveitts Wohnhaus einen großen Teil seiner Kompositionen zerstörte, hielt er selber sein Manuskript von Baldur für verloren – zerstört in einem Luftangriff auf London.
Das Werk war 1938 in Oslo uraufgeführt worden, von dieser Aufführung existiert eine Aufnahme, auf deren Basis von dem russischen Komponisten Alexei Rybnikov eine Rekonstruktion unternommen wurde. Die vorliegende Fassung jedoch stammt von dem norwegischen Komponisten Kaare Dyvik Husby, der Überreste des Werks, teilweise als Partitur, teilweise als Stimmenmaterial, entdeckte. Auf ihrer Basis ergänzte und korrigierte er Rybnikovs Versuch und ist dabei wohl sehr nahe an die originale Partitur gekommen. Allerdings war es nicht möglich, von der 1938er-Aufnahme auch die gesungenen Texte abzunehmen, zumal Tveitt ohnehin eine Sprache entwickelt hatte, die seiner Vorstellung von alt-norwegisch entsprach. Insofern ist die Verwendung von Vokalisen nicht nur sinnvoll, sondern in Übereinstimmuung mit der Absicht des Komponisten. Die gesprochenen Einleitungen zu jedem Akt sind jedoch erhalten geblieben.
Baldur’s Träume ist das Werk eines Dreißigjährigen, ein Jugendwerk also, voll aufregender Klänge und instrumentatorischer Experimente, mit denen eine altnordische Atmosphäre heraufbeschworen werden. Tveitt verwendet dazu nicht nur Tanzrhythmen oder parallele Quartenakkorde, sondern u.a. auch neun pentatonisch gestimmte Trommeln. Aber abseits solcher Außergewöhnlichkeiten handelt es sich um eine reich instrumentierte, brillant klingende und in keinem Augenblick ermüdende Musik, die kennenzulernen außerordentlich lohnend ist und eine ganz eigene Facette in der großen Welt der Klänge darstellt.
Telemarkin von 1974 ist eine Kantate für Sprecher, Mezzo-Sopran, Hardanger Fiedel und Orchester, in der die Schönheit der südnorwegischen Region Telemark gefeiert wird. Das für Sprecher und Mezzosopran eingerichtete Gedicht ist nicht eben ein Meisterwerk subtiler Nuancen (was für den des Norwegischen nicht Mächtigen sowieso egal ist), für die Musik spielt das glücklicherweise keine Rolle: sie nimmt sozusagen die Lieblichkeit der Landschaft in sich auf und stellt sie tönend dar.
Das Orchester scheint sich seiner Verpflichtung gegenüber diesem außergewöhnlichen Komponisten seines Heimatlandes bewusst zu sein. Deutlich jedenfalls ist das Engagement und die jeden Augenblick spürbare Hingabe an Tveitts Musik, die zu hinreißenden Aufführungen geführt hat. Das alles ist verpackt in einen hervorragenden CD-Klang, so dass man zwei aufregenden Hörstunden entgegensehen darf.
Benjamin G. Cohrs 2 [16.04.2004]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Geirr Tveitt | ||
1 | Baldurs draumar (Baldur's Dreams, Ein Stück für Tanz und Orchester in 3 Akten, 1938) | |
2 | Telemarkin für Sprechstimme, Singstimme, Hardanger Fiddle und Orchester (Kantate, 1974) |
Interpreten der Einspielung
- Solveig Kringelborn (Sopran)
- Ulf Øien (Tenor)
- Magne Fremmerlid (Baß)
- Stavanger Symphony Orchestra (Orchester)
- Ole Kristian Ruud (Dirigent)
- Jon Eikemo (Rezitation)
- Arve Moen Bergset (Hardanger Fiddle)