Rolf Wallin
Five Seasons Whirld | Stride | Spirit
Ondine ODE 1429-2
1 CD • 76min • 2022, 2023
10.04.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Rolf Wallin (Jahrgang 1957) hat sich längst als einer der bedeutendsten lebenden Komponisten Norwegens etabliert. Nach Studien in Oslo prägten ihn später in den USA Größen wie Roger Reynolds und Vinko Globokar. Seine Musik nutzt einen ungewöhnlich breiten Erfahrungsschatz, der von flexiblen mathematischen Modellen (Chaostheorie) über Jazz- und Rockmusik bis hin zu fernöstlicher Mystik reicht. Für die drei hier vorgelegten konzertanten Werke konnten jeweils Weltklassesolisten gewonnen werden.
Stride - Hoffnung in schwierigen Zeiten?
Als Antwort auf die zahlreichen Krisen der jüngsten Vergangenheit fand Wallin für sich persönlich ein besonderes Mittel, um wieder positive Energie zu schöpfen – das zielstrebige Schreiten in großen Schritten – und versuchte dies im knapp 9-minütigen Orchesterstück Stride (2023) in Musik zu fassen: exzellent instrumentierte, abwechslungsreich gestaltete Klänge von verschiedenster Dichte, allerdings nicht sonderlich individueller Handschrift. Ob daraus letztlich Hoffnung erwächst, mögen die Hörer selbst entscheiden.
Grandiose Konzerte für Violine und Sheng
Persönlicher, weitaus komplexer, energetischer und – nicht nur in den phänomenalen Soloparts – virtuoser geben sich das Violinkonzert Whirld (2018) und Five Seasons (2022), eines der seltenen Konzerte für die chinesische Mundorgel Sheng – und damit natürlich für den absoluten Star auf diesem erstaunlichen Instrument: Wu Wei. Der spielt freilich eine gegenüber den seit Jahrtausenden tradierten Modellen in seinen technischen und musikalischen Möglichkeiten stark erweiterte Sheng mit 37 Bambuspfeifen. In Wallins Konzert sind die Sätze nach den gemäß der chinesischen Fünf-Elemente-Lehre den fünf (!) Jahreszeiten zugeordneten Elementen benannt: Wasser, Erde, Holz, Metall und Feuer. Wu Wei spielt diese sich ständig transformierende Musik, die nie mit simplen Exotismen liebäugelt, dermaßen hinreißend, dass es einem den Atem verschlägt. Der Lette Andris Poga leitet das extrem differenziert agierende, sich dynamisch perfekt an die Solisten anpassende Stavanger Symfoniorkester mit Hingabe und enormem Einfühlungsvermögen sowohl in Hinsicht auf die vertrackten Formen als auch die äußerst rasche Wandlungsfähigkeit der minutiös austarierten Klangfarben.
Meisterleistung von Edbjørg Hemsing
Nicht weniger vollkommen bewältigt die mittlerweile international bejubelte Violinistin Edbjørg Hemsing ihre absurd schwierige (Flageolets!) Partie in Whirld – eine Wortkombination aus world und whirl. Wallin betätigt sich hier als quirliger Alchemist fraktaler Mathematik, die dennoch gerade emotional wirklich überzeugen kann. Inspiriert durch Illustrationen aus Johan Conrad Barchusens Elementa chemiæ beherrscht Hemsing als umsichtige „Taube“ die vier Farbgefäße für Schwarz, Weiß, Gelb und Rot – faszinierend! Etwas weniger stringent, dabei trotzdem recht einzigartig auch Spirit (2017), für die dänische E-Bass-Virtuosin Ida Nielsen, die von 2010 bis 2016 in den Bands von Prince mitspielte. Neben sehr groovigen Momenten gibt es hier stellenweise jedoch ein wenig Leerlauf mit ermüdenden Repetitionsmustern. Da die Aufnahmetechnik ebenfalls ganz hervorragend ist, verdient das Album insgesamt eine klare Empfehlung.
Martin Blaumeiser [10.04.2024]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Rolf Wallin | ||
1 | Stride | 00:09:11 |
2 | Whirld für Violine und Orchester | 00:21:14 |
6 | Spirit für elektrische Bassgitarre und Orchester (Spirit) | 00:18:53 |
7 | Five Seasons für Sheng und Orchester (Five Seasons) | 00:25:59 |
Interpreten der Einspielung
- Eldbjørg Hemsing (Violine)
- Ida Nielsen (elektrische Bassgitarre)
- Wu Wei (Sheng)
- Stavanger Symphony Orchestra (Orchester)
- Andris Poga (Dirigent)