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Besprechung CD

Roger Norrington

Wagner • Tschaikowsky

SWRmusic 93.119

1 CD • 79min • 2004

08.12.2004

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Ungeheuerlich, was man auf einmal für Klänge bei Wagner und Tschaikowsky entdecken kann, wenn ein Orchester in reiner Intonation und ohne Dauervibrato und ein Dirigent mit Gespür für Balance und Klangsinn sich ihrer Werke annimmt. Das von Roger Norrington jahrelang geschulte RSO Stuttgart des SWR kann nun immer neue Früchte dieser Arbeit ernten – auch wenn ich einwenden möchte, daß Darmsaiten, um ein Drittel kleinere Blechblasinstrumente und handgearbeitete Bläser noch bessere Resultate bringen als moderne Instrumente. Diesen Nachweis hat bei Wagner das New Queen’s Hall Orchestra unter Barry Wordsworth bereits 1995 auf CD erbracht (Eye of the Storm/Future Classics CD EOS 5001, z. Zt. vergriffen). Der Unterschied zeigt sich in dieser an sich fulminanten Neueinspielung ganz besonders in der Parsifal-Suite von Erich Leinsdorf, in der die Blechbläser zu wenig farbig und zu grell klingen. Dies ist aber wohl auch eine Frage der persönlichen Vorlieben des Dirigenten – auf der zum Vergleich einladenden einzigen Konkurrenzeinspielung dieser gerühmten Orchester-Adaption durch Erich Leinsdorf selbst (SWR-Orchester Baden-Baden & Freiburg, Hänssler Classic 93.040) klingt das Blech weitaus differenzierter und runder – abgesehen davon, daß Sir Roger sage und schreibe sieben Minuten früher durchs Ziel geht. Im Vergleich zu Leinsdorfs Einspielung ist auch frappierend, wie pathetisch und aufgesetzt das von Leinsdorf bevorzugte Vibrato wirkt. Roger Norrington hat mit seinen diesbezüglichen Feststellungen im Beiheft (S. 5) also völlig recht.

Doch die eigentliche Sensation dieser Einspielung ist die „Pathetique“ (hier übrigens fälschlich mit Akzent geschrieben, worauf der Komponist konsequent verzichtet hatte). Mit seinem an der Barockmusik geschulten Affekt-Verständnis inszenieren Norrington und sein Orchester das Werk als aufwühlendes Seelen-Drama, obwohl (oder weil) ihm jedes falsches Pathos ausgetrieben wird: Wie anrührend schlicht klingt das Liebesthema des ersten Satzes (Tr. 7, 4’31), wie beängstigend, ja geradezu beklemmend das Finale! Der verquere Walzer im Fünfachteltakt rückt plötzlich in die Nähe von Berlioz’ Un bal (aus der Symphonie fantastique), und das Marsch-Scherzo wirkt wie eine bedrohliche Prophezeiung von Prokofieff und Schostakowitsch. Norrington gelingt es zudem, dem Werk – wie von ihm im Beiheft angemerkt – die „Blechlastigkeit“ auszutreiben (leider anders als bei Wagner...). Endlich einmal hört man die zerrissenen Aufteilungen des Finale-Anfangsthemas in den links und rechts gegenüber sitzenden Geigen! Herrlich läßt sich die feine thematisch-motivische Arbeit des Komponisten durch alle Instrumentengruppen hindurch verfolgen.

Fragwürdig finde ich jedoch Norringtons im Beiheft allzu deutlich werdende Bestätigung des Klischees von dieser Sinfonie als „Vorahnung des eigenen Todes“. Die Legenden um Tschaikowskys angeblichen Selbstmord wurden jedoch von Alexander Poznansky inzwischen stichhaltig widerlegt; außerdem ist die Sinfonie namentlich dem letzten Geliebten des Komponisten, dem Neffen Bob Davydov, gewidmet, und schließlich auch in Zusammenhang mit dem lebensbejahenden dritten Klavierkonzert zu sehen, daß Tschaikowsky dreisätzig konzipiert hatte, das von Tanejew aber posthum mutwillig auseinandergerissen und unter zwei verschiedenen Opus-Nummern (op. 75 und 79) bei zwei verschiedenen Verlagen publiziert wurde. Auch Eckhardt van den Hoogen hat darauf hingewiesen, daß sich sechste Sinfonie und drittes Klavierkonzert in einem ähnlichen Verhältnis zueinander befinden wie Berlioz’ Symphonie Fantastique op. 14 und Lelio oder die Rückkehr ins Leben op. 14bis...

Dr. Benjamin G. Cohrs [08.12.2004]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Richard Wagner
1Parsifal-Suite 00:34:12
Peter Tschaikowsky
7Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 (Pathétique) 00:44:23

Interpreten der Einspielung

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